Im verbalen Schlagabtausch der Politiker werden als Ratten die Feiglinge bezeichnet, die mit eingezogenem Schwanz das sinkende Schiff verlassen. Brexit-Befürworter Nigel Farage musste sich sogar als „head rat“ (also Oberratte) bezeichnen lassen, weil er sieht, was er angerichtet hat und sich vom Acker macht. Mit dem Vergleich tut man aber den possierlichen Nagern Unrecht. Diese sind besser als ihr Ruf, wenn man japanischen Forschern glauben will: Die fanden heraus, dass Ratten sich gegenseitig das Leben retten – und dafür auf Futter verzichten. Glaubt man Verhaltensforschern der Uni Ohio, können Ratten sogar lachen. Kein Wunder also, dass die singenden Schluckspechte um Frank Sinatra, Sammy Davis und Dean Martin sich ironisch als „rat pack“ bezeichneten. Wir brauchen dringend eine Imagekampagne für die Rehabilitierung des Rufes der Ratte. Es geht nicht an, sie in einem Atemzug mit Rindvieh, Esel, Zicke, Schwein, Schlange oder Wurm zu nennen, weil man missliebige Mitmenschen beschimpfen will – wie CSU-Chef Franz Josef Strauß, der 1978 eine Gruppe linker deutscher Publizisten als „Ratten und Schmeißfliegen“ bezeichnete. Der Schriftsteller Jonathan Swift hat schon vor 300 Jahren den ersten Schritt zur Rehabilitierung des Rufes der Ratte getan.
Er schrieb: „Die Ratte, die das sinkende Schiff verlässt, ist klüger als der Kapitän, der damit untergeht.“ Wolfgang Schäuble ist zwar Europa-Befürworter. Aber der Finanzminister würde Europa-Spalter Farage nie als Ratte bezeichnen. Schäuble weiß: „Die dümmsten Ratten sind die, die ein Schiff verlassen, das gar nicht sinkt.“