Jobmotor und Garant für neues Wirtschaftswachstum oder Einfallstor für skrupellose Konzerne nach Europa? Am Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA scheiden sich die Geister. Wichtige Fragen und Antworten.
Die Abkürzung steht für „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, auf Deutsch: Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen. Seit Jahren im Gespräch, wird nun seit Mitte 2013 konkret zwischen der Europäischen Union und den USA verhandelt. Ziel ist es, Zölle, unsinnige Vorschriften oder Hürden für Investitionen abzubauen, damit der Handel zwischen den beiden Wirtschaftssupermächten stärker floriert. So erheben die USA laut EU zum Beispiel beim Import auf Fleisch 30 Prozent Zölle und bei Milchprodukten bis zu 139 Prozent.
Die Interessen der Europäer vertritt die EU-Kommission, an der Spitze Handelskommissar Karel De Gucht, ein liberaler Belgier. Für die USA sitzt Michael Froman am Verhandlungstisch. Er wurde von US-Präsident Barack Obama damit betraut. Obama möchte, dass das Abkommen noch vor Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit 2016 unter Dach und Fach ist. Experten halten das für fraglich, weil in Europa die Bedenken wachsen und es auch Widerstände im US-Kongress gibt.
Sie fürchten, dass in den ziemlich geheimen Gesprächen am Ende Lobby-Interessen der Konzerne überwiegen. Die Protestbewegung Campact hat im Internet schon über 460 000 Unterschriften gegen TTIP gesammelt. Die Liste der Vorwürfe ist lang: Ausländische Konzerne könnten EU-Länder vor nicht öffentlich tagenden Schiedsgerichten auf hohen Schadenersatz verklagen. In den Kommunen drohten Privatisierungen von Wasser, Bahn, Gesundheit und Bildung. Die US-Agrarlobby wolle in Europa Gen-Essen, Hormonfleisch oder mit Chlor desinfizierte Hühnchen verkaufen. Der Datenschutz werde ausgehöhlt. US-Energiekonzerne wollten in Europa mit Fracking Schiefergas fördern.
Brüssel ist aufgewacht. Ein Desaster wie bei ACTA – ein internationales Handelsabkommen gegen gefälschte Markenprodukte musste auf Druck von Bürgern und Internetaktivisten beerdigt werden – soll sich nicht wiederholen. Die Kommission schickt Spitzenbeamte auf Werbetour. Chefunterhändler Ignacio Garcia Bercero etwa sagt: Hohe europäische Standards bei Lebensmittelsicherheit, gegen Hormone in Fleisch oder zum Schutz vor gefährlichen Chemikalien würden niemals aufgegeben.
Das ist ein dickes Brett. Die Sorge ist groß, dass US-Konzerne, wenn ihnen irgendwelche Gesetze nicht passen und Geschäfte in Europa vermiesen, vor ausländischen Schiedsgerichten auf Milliarden-Schadenersatz klagen. Die EU-Kommission will diesen Teil des Abkommens ganz präzise formulieren und öffentlich diskutieren, damit es keine böse Überraschung gibt. Die Klauseln sollen nur Fälle betreffen, in denen eine ausländische Firma nachweisbar diskriminiert oder wenn eine Firma im Ausland ohne Entschädigung enteignet wird. Auch könnte die EU auf die Einführung von Berufungsverfahren pochen, damit ein Schiedsgericht nicht unwiderrufbar Fakten schafft.
Glaubt man EU, Bundesregierung und Industrie, werden auf beiden Seiten des Atlantiks die Unternehmen stärker wachsen und viele neue Arbeitsplätze entstehen. „Allein in Deutschland erwarten wir bei erfolgreichem Abschluss mehr als 100 000 Arbeitsplätze, vor allem im Mittelstand“, glaubt DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Die EU-Kommission nennt keine Hausnummern: „Wir sagen nicht, wie viele Jobs entstehen können.“