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Unterm Strich: Mail aus Odessa
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 30.05.2020 02:11 Uhr

Zu Zeiten, als es noch einen Postminister gab und Briefe mit der Bundespost kamen, konnte es passieren, dass an einem einzigen Tag vier Werbebriefe auf einmal im Briefkasten steckten. Heute landen mitunter Dutzende unerwünschter Sendungen täglich im E-Mail-Postfach. Mir scheint, die Leute haben in der Krise besonders viel Zeit zum Schreiben. Eine Sarah bietet mir „Naturheilmittel gegen chronische Schmerzen, Arthritis, Stress, Angstzustände und Vieles mehr“ an. Ich habe weder Schmerzen noch Angst. Das „Vieles mehr“ hätte mich interessiert. Leider hatte die Mail keinen Anhang. Ein Willi, der rein zufällig den gleichen Namen trägt wie einer unserer freien Mitarbeiter, schrieb mir, er hoffe sehr, dass mich sein Brief rechtzeitig erreiche. Denn wie es der Teufel will, ist er gerade nach Odessa unterwegs und hat auf dem Weg dorthin seine Tasche verloren, in der Pass und Kreditkarten steckten. Jetzt ist es so, dass er schon Kontakt zu seiner Bank hatte, die das Geld aber derzeit nicht schicken kann und deshalb . . . – ach, Sie wissen schon. Vielleicht könnten Sie ihm ja die 1000 Euro schicken, die er in seiner Not braucht. Ich bin gerade nicht flüssig. Willi gibt sie Ihnen auch zurück, sobald er wieder da ist. Versprochen! Dann hat mir noch der Heilige Aloysius geschrieben, nachts um 4:22 Uhr. Der Mann muss ackern wie der Leibhaftige. „Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Wunsch mitzuteilen, mit Ihnen Geschäfte zu machen, ich entschuldige mich für die Störung.“ Och, keine Ursache. Die angehängte Datei habe ich nicht geöffnet. Willi hat noch mal gemailt. Es müsse schnell gehen – er braucht jetzt 5000 Euro.

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