Es gibt Zeitgenossen, und es sind nicht gerade wenige, die für jede Lebenslage die passende Weisheit parat haben, ja, die ihr Leben auf der Grundlage eines schier unerschöpflichen Sprichwörter- und Zitatenschatzes aufgebaut haben. Dabei hält so ziemlich keine dieser Redensarten einer kritischen Überprüfung stand. Beileibe nicht jede Axt im Haus erspart den Zimmermann – und wer einen Gaul zum Geschenk erhält, der sollte ihm besser umgehend ins Maul schauen, nicht, dass das gute Tier noch Haare auf den Zähnen hat. Dann hätte der Besitzer nämlich so etwas wie die Katze im Sack erworben. Eine ganze Generation glaubte vermutlich auch dem Liedermacher Reinhard Mey, dass der Mörder immer der Gärtner sei. Zu beweisen ist das nicht, keine Verbrechensstatistik der Welt gibt diese These her. Und doch hält sich bis heute das Gerücht. Vermutlich ist dies der Grund dafür, dass man auch als unbedarfter Hobbygärtner unter Generalverdacht gerät, wenn man im Fachhandel ein Säckchen Rasendünger mit extra viel Stickstoff besorgen möchte. Der ansonsten sehr freundliche Herr im Lagerhaus will und darf es einem nicht verkaufen. „Sie könnten Sprengstoff daraus bauen!“ Als Landwirt bekäme man das Zeug problemlos. Landwirte sind unverdächtig, sie dienen – wie der Name schon verrät – dem Land. Das leuchtet ein. Im Übrigen: Hat man je von einem Song gehört, in dem der Bauer als Mörder in Erscheinung tritt? Eigentlich wollte man ja noch rasch in den Baumarkt, um das Weitere für diese Gartensaison zu besorgen. Aber man traut sich dort gar nicht mehr zu fragen nach einem Rasensprenger.
Unterm Strich: Glosse: Gärtner unter Generalverdacht
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