So weit uns aus dem Buckingham Palace in London bekannt ist, bekommt die Queen dort jeden Morgen um Punkt 8 Uhr ihre Tasse Earl-Grey serviert, eine mit Bergamotte aromatisierte Teemischung, benannt nach dem früheren Premierminister Charles Grey. Tja, das hätte man wissen können als jemand, der den offiziellen Auftrag erhält, ein Porträt der Monarchin zu malen. Gerne wären wir behilflich gewesen, nur leider hat uns keiner gefragt. Stattdessen ist die Künstlerin Miriam Escofet, eine Spanierin, die in London residiert, voll in die Protokoll-Falle getappt, weil sie die Tasse auf dem Bild einfach leer ließ. Sie verstehen? Eine leere Tasse Tee – in einem Land, in dem Babys mit dem Teebeutel gepudert und der Teekanne aufgezogen werden. Manche Zeitgenossen werden die Dimension kaum überreißen, weil Tee hierzulande schmeckt wie . . . genau, wie Rindenmulch, so hat das unlängst ein Kollege der „Zeit“ formuliert. Zum besseren Verständnis: Das ist in etwa so, als würde man Angela Merkel vor einen Mercedes stellen, der keinen Motor hat. Ein unverzeihlicher Fauxpas. Natürlich hat die Queen den Fehler im Bild sofort bemerkt, und vermutlich dachte sie an Marcel Proust, den großen französischen Romantiker. Dessen berühmtester Romanheld halluzinierte nach dem Genuss einer Tasse Lindenblütentee von der Stadt und den Gärten Combrays. „Mit einem Mal war die Erinnerung da.“ Aber wo kein Tee ist, ist auch keine Erinnerung. All das muss der Queen in diesem Moment bewusst geworden sein. Sie muss sich gefragt haben, ob diese Bürgerliche, der sie sich da anvertraut hatte, noch alle Tassen im Schrank hat.
Unterm Strich: Ein Porträt mit Schönheitsfehler
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