Bei unseren Vorfahren war die Sache noch einfach. Die Morgenstund trug Gold im Mund, der frühe Vogel fing den Wurm, und selbst der bekannteste Geheimagent der Welt gab sich noch vor 25 Jahren überzeugt: Der Morgen stirbt nie! Nun ist es doch geschehen – der Morgen ist tot. Schlimmer noch: Der Mittag und der Nachmittag sind es auch, womöglich sogar die berühmte blaue Stunde. Unsere Gesellschaft schwadroniert bloß noch vom „Ende des Tages“. Glaubt man Politikern, Philosophen und Leitartiklern, so kommt unser Land am Tag nicht mehr recht voran. Immer müssen wir warten, bis er vorüber ist. Erst dann sehen wir alle klarer, sind wir schlauer, wissen wir mehr. Das ist es, was man uns einzureden versucht, wenn Sätze beginnen mit „Am Ende des Tages . . .“. Der Tag hat hierzulande keine Lobby mehr, wir sollten ihm ein Gedenken widmen – am besten mit einem Tag des Tages –, um uns seiner wieder bewusst zu werden. Verstört fragen wir uns: Wann hat das angefangen mit diesem Tag-Mobbing? Wieso können wir nicht mal im Morgengrauen Bilanz ziehen? Und wann ist eigentlich das Ende des Tages? Wahrscheinlich um Fünf vor zwölf, wie die Fraktion der Schwarzseher und Apokalyptiker anmerken würde. Die Toten Hosen würden heute vermutlich singen „Am Ende von Tagen wie diesen“, der alte Dichterfuchs Horaz traute sich nicht mehr „Carpe diem“ zu schreiben, sondern „Genieße das Ende des Tages“. Und bei der Deutschen Bahn soll es erste Stimmen geben, die dazu raten, in den Fahrplänen künftig auf konkrete Ankunftszeiten zu verzichten. Dort stünde dann bloß noch: am Ende des Tages.
Unterm Strich: Am Ende des Tages
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