Über Geschmack lasse sich nicht streiten, heißt es. Ich habe die Erfahrung gemacht: Über nichts lässt sich so gut streiten wie über Geschmack. Neulich sagte mir eine Freundin, sie höre gern „schwierigen Jazz“. Ich höre auch gerne Jazz, aber nicht unbedingt schwierigen. Ich finde, das Leben ist schwierig genug. Da brauche ich nicht auch noch schwierigen Jazz. Dann kam das Gespräch auf einen Literaturnobelpreisträger. Ich sagte, seine Bücher seien todlangweilig, eine Zumutung, unglaublicher Mist. Gut, vielleicht war das übertrieben. Ich glaube, kein Mensch kann völlig objektiv sein, nicht einmal ich. Die Freundin sagte, sie könne mit dem Autor auch wenig anfangen, aber so drastisch wie ich würde sie es nicht formulieren. Sie lasse in solchen Fällen ein Werk „einfach so stehen“ und stelle neutral fest: „Ich finde keinen Zugang dazu.“ Diese Haltung hat mir sehr imponiert. Sie ist eine Übung in Gelassenheit und eröffnet einen völlig neuen Zugang zur Welt. Wenn Sie also einen Gebrauchtwagen kaufen und der Blinker geht nicht, das Lenkrad zieht nach rechts, der Motor stottert und der Auspuff fällt ab, sagen Sie nicht: Was ist denn das für eine Schrottkarre! Sagen Sie lieber: Ich finde keinen Zugang zu diesem Auto – und lassen Sie es einfach so stehen. Und wenn Sie sich auf Spaghetti Carbonara freuen, aber das Gericht, das man Ihnen vorsetzt, enthält kaum Schinkenspeck und Käse und die Nudeln sind eine schleimige Pampe, sagen Sie nicht, dieses Essen sei eine kulinarische Katastrophe. Sagen Sie einfach: Ich finde keinen Zugang dazu. Sie können den Teller dann auch einfach so stehen lassen.
Scheurings Wort zum Samstag: Lob der Objektivität
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