Der USA-Experte Thomas Jäger erklärt, welche Folgen die dramatischen Bilder für die amerikanische Demokratie haben und warum Donald Trump weiter mächtig sein wird.
Thomas Jäger: Ja, man kann tatsächlich von einem Tiefpunkt dieser ungewöhnlichen vierjährigen Amtszeit sprechen. Die Toten und die verstörenden Bilder der Parlamentsbesetzung wie Randalierer auf Stuhl des Senats-Präsidenten oder im Büro der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi Platz nehmen, führen mit Symbolkraft vor Augen, wohin vier Jahre Donald Trump die Vereinigten Staaten geführt haben. Diese Bilder sind Ergebnis der langen tiefen politischen Spaltung, die Donald Trump in seiner Amtszeit auf die Spitze getrieben hat.
Jäger: Das ist meistens so, das ist die Macht der Bilder. Wenn man diese Symbole von den Ereignissen trennt, bleiben gewalttätige Ausschreitungen, bei denen mach sich schon sehr fragen muss, warum den anstürmenden Massen am Kapitol kaum Polizei gegenüberstand. Ganz Washington hat damit gerechnet, dass es zu Ausschreitungen kommt, nachdem Trump zum Protestmarsch aufgerufen hat. Und dann war vor dem Kapitol fast niemand da, um die Demonstranten abzuhalten. Das war ein krasser Fehler der Sicherheitskräfte. Das ist verwunderlich: Das Kapitol verfügt selbst über starke Polizeikräfte. Und die Polizei in Washington untersteht dem Polizeipräsidenten und der von den Demokraten regierten Stadt.
Jäger: Die Institutionen der amerikanischen Demokratie sind nicht beschädigt, sie funktionieren noch. Es sind auch nicht die hässlichen Bilder, die die amerikanische Demokratie beschädigen, es ist die tiefe politische Spaltung in den Vereinigten Staaten. Es gibt keinerlei Kompromissbereitschaft, kein Streben nach Ausgleich in der Politik, jeder lebet in einer eigenen Welt, seiner eigenen Wirklichkeit.
Jäger: Dabei kommt es im gespaltenen Amerika auf den Standpunkt an, von dem die Seiten ihren Blick auf die Demokratie werfen. Für die Abgeordneten, die vor dem Mob geflüchtet sind, war dieser Aufstand ganz klar ein Anschlag auf die Demokratie. Die Trump-Anhänger die das Kapitol gestürmt haben, sehen das genau anders herum: In ihrer Parallelwelt sitzen die Feinde der Demokratie im Kongress, die ihnen nach ihrer Auffassung die Wahl gestohlen haben. Hier prallen zwei völlig unterschiedlichen Wirklichkeiten aufeinander, angefacht durch die Fantasien eines Präsidenten, der immer noch in der Lage ist ganz viele Menschen zu begeistern.
Jäger: Diese Meldung zeigt schon wie irrwitzig die Situation inzwischen geworden ist: Ein amerikanischer Präsident sagt etwas eigentlich völlig Selbstverständliches, doch aus dem Mund von Donald Trump ist das eine Nachricht, die um die Welt geht. Donald Trump hat vermutlich bis Mittwoch tatsächlich geglaubt, dass es für ihn noch eine Chance gibt, das Wahlergebnis zu kippen. Er seine Anhänger aufgefordert, Druck auf den Kongress zu machen, dass es Neuwahlen in manchen Bundesstaaten geben soll oder das Repräsentantenhaus den Präsidenten wählt. Das war natürlich völlig wirklichkeitsfremd. Aber in seiner Fantasiewelt hat er noch die Chance gesehen, seine Präsidentschaft zu bewahren. Mit der Abstimmung im Repräsentantenhaus war das Spiel für ihn aber vorbei.
Jäger: Nein, das ist sie nicht. Das gilt vielleicht für die Funktionäre der Republikaner. Sie wenden sich von Donald Trump immer mehr ab. Doch entscheidend sind den USA, nicht die Funktionäre, die Trump am liebsten schon lange losgeworden wären, sondern die Parteibasis.
Jäger: Hier ist es noch zu früh zu sagen, ob die Bilder von Washington einen Meinungsumschwung bewirken. Die Erfahrungen der vergangenen vier Jahre sprechen eher dagegen, dass Trump wirklich Rückhalt verliert.
Jäger: Das hängt ganz von der Präsidentschaft Joe Bidens ab. Davon, ob er eine Agenda der Mitte verfolgen wird und versucht, die gespaltene Gesellschaft zu versöhnen, oder ob sich jetzt mit der neu gewonnenen Senatsmehrheit die linken Demokraten durchsetzen. Viele wollen Biden jetzt zu einer linken Agenda drängen, das würde die Spaltung weiter vertiefen. Wenn Biden beispielsweise das Oberste Gericht um linke Richter erweitert, würde das Trump klar in die Hände spielen.