Noch vor kurzem war Juan Guaidó selbst den meisten Venezolanern unbekannt. Jetzt ist der einstige Studentenführer selbst erklärter Interims-Präsident des südamerikanischen Erdölstaates – und damit der prominenteste Oppositionelle, der Machthaber Nicolás Maduro die Stirn bietet. Am 5. Januar erst wurde er zum Parlamentspräsidenten gewählt, nachdem alle anderen Führungsfiguren der bürgerlichen Rechten verschlissen oder inhaftiert waren. Maduro glaubte, mit dem 35-jährigen „naiven Jüngling“ leichtes Spiel zu haben. Inzwischen dürfte er anders darüber denken.
Am Mittwoch stand ein ruhiger, selbstbewusster Guaidó in Jeans, Hemd und Sakko in Caracas auf der Tribüne und ließ sich von Zehntausenden als Interims-Präsident vereidigen. Ein gewagter Schachzug, augenscheinlich abgestimmt mit den wichtigsten Regierungen des Kontinents in den USA, Kolumbien oder Brasilien, die ihn sofort anerkannten. Trotzdem riskant. Schließlich hat das von Maduro kontrollierte Oberste Gericht die Staatsanwaltschaft angewiesen, jegliche Umstürzler mit voller Härte des Gesetzes zu verfolgen. Guaidó weiß, was das bedeutet: Exil oder Isolationshaft samt Folter. Vielen Kampfgenossen aus der Studentenzeit ist es so ergangen.
Nach der Proklamation tauchte Guaidó denn auch erst einmal unter, meldet sich aber weiter via Twitter zu Wort. Im Gegensatz zu vielen anderen Führungsfiguren der Opposition, die der wirtschaftlichen Elite des Landes angehörten, ist Guaidó Sprössling einer Mittelschichtsfamilie aus der Küstenprovinz Vargas. Er hat fünf jüngere Geschwister.
Ein Unglück überschattete seine Jugend: 1999 kam es in Vargas zu Erdrutschen nach tagelangen Regenfällen; Tausende kamen um, darunter viele seiner Nachbarn. Die Ineffizienz und Insensibilität der damaligen Regierung unter Präsident Hugo Chávez habe Guaidó empört, sagen seine Freunde. Politisch aktiv wurde er während seines Ingenieurstudiums. In der Studentenbewegung ließ er allerdings charismatischeren Figuren den Vortritt. Er hört gerne Salsa und ist Baseball-Fan.
Doch in der Politik denkt er eher pragmatisch und formuliert trocken, ein Volkstribun ist er jedenfalls nicht. Und doch kämpfte er für seine Überzeugungen – auch bei den Protesten gegen eine Verfassungsänderung, die die unbegrenzte Wiederwahl von Chávez ermöglichen sollte. Es war die einzige Niederlage des 2013 gestorbenen Chávez bei einer Abstimmung. Guaidó, der mit einer Kommunikationswissenschaftlerin verheiratet ist und eine kleine Tochter hat, wurde 2015 in der letzten freien Wahl zum Abgeordneten gewählt. Es war sein erster politischer Posten. Drei Jahre später steht er an der Spitze des maroden Landes. Foto: Federico PARRA, AFP