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BERLIN
Als Berlin mit den „Rosinenbombern“ überlebte
70 Jahre Luftbrücke       -  Das Foto aus dem Jahr 1948 zeigt West-Berliner Jungen, die einem US-amerikanischen Transportflugzeug winken.
Foto: dpa | Das Foto aus dem Jahr 1948 zeigt West-Berliner Jungen, die einem US-amerikanischen Transportflugzeug winken.
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 02.04.2019 10:31 Uhr

Sie wurde nie offiziell erklärt. Sie begann einfach, ohne Ankündigung, ohne Begründung, ohne weitere Erläuterungen. „Infolge einer technischen Störung an der Eisenbahnstrecke“, so erklärte die Ost-Berliner Nachrichtenagentur ADN am Vormittag des 24. Juni 1948 ebenso lapidar wie nichtssagend, „war die Transportverwaltung der sowjetischen Militäradministration gezwungen, in der Nacht sowohl den Passagier- als auch den Güterverkehr auf der Strecke Berlin-Helmstedt in beiden Richtungen einzustellen“.

Stalin hatte vor 70 Jahren rund 2,1 Millionen Menschen als Geiseln genommen, um die drei Westalliierten für seine deutschlandpolitischen Interessen zu erpressen und ihren Abzug aus Berlin zu erreichen.

Stalins Embargo

Doch er hatte die Entschlossenheit der Amerikaner, Briten und Franzosen wie die Widerstandsfähigkeit der Berliner unterschätzt. Schon zwei Tage später, am 26. Juni 1948, richteten die Alliierten eine „Luftbrücke“ ein, die 332 Tage lang, bis zum 12. Mai 1949, die Menschen mit Kohle, Lebensmitteln und Industriegütern aus der Luft versorgte. Die „Rosinenbomber“ wurden zum Symbol für die Freiheit der Stadt.

Blockade und Luftbrücke waren vor sieben Jahrzehnten ein erster Höhepunkt des sich abzeichnenden Kalten Kriegs zwischen West und Ost und markierten eine einschneidende Zäsur in der Nachkriegsgeschichte. Die Partnerschaft der vier Siegermächte, die sich auf der Konferenz in Potsdam im Juli und August 1945 noch verpflichtet hatten, „Deutschland als Ganzes“ zu behandeln, war längst nur noch Fassade. Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen der USA und der UdSSR über die zukünftige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ausgestaltung Deutschlands.

Die Teilung Deutschlands zeichnete sich ab, seit dem Auszug der Sowjets aus dem Alliierten Kontrollrat am 20. März 1948 gab es keine gemeinsame Verwaltung mehr. Die von den Amerikanern durchgesetzte Währungsreform in den Westzonen am 20./21. Juni bot dem Kreml einen Vorwand, den Konflikt zu verschärfen. Das geteilte und gemeinsam verwaltete Berlin war das Faustpfand Stalins, die Anwesenheit der Westmächte in der Hauptstadt ihm ein Dorn im Auge. Mit der Blockade wollte er sie aus der Spree-Metropole vertreiben, um sich die Stadt ganz seinem Machtbereich einzuverleiben.

Washington und London dachten jedoch gar nicht daran, Berlin zu verlassen. „Wenn Berlin fällt, fällt Westdeutschland als nächstes. Wenn wir beabsichtigen, Europa gegen den Kommunismus zu halten, dürfen wir uns nicht von der Stelle rühren. Ich glaube, die Zukunft der Demokratie verlangt von uns, dass wir bleiben“, hatte Lucius D. Clay, der amerikanische Militärgouverneur schon im April seiner Regierung telegrafiert.

So sah es auch US-Präsident Harry S. Truman. „Wir sind in Berlin, und da bleiben wir, punktum", entschied er am 28. Juni. Er gab damit grünes Licht für die „Operation Lebensmittel“, die den Beginn der „Luftbrücke“ markierte. Da die Zugänge zu Wasser und zu Lande blockiert waren, sollten die alliierten Soldaten die Berliner von der Luft aus versorgen. Die Briten schlossen sich der „Luftbrücke“ sofort an, die Franzosen später.

Es folgte eine einzigartige menschliche, technische wie logistische Meisterleistung. Die gleichen Piloten, die mit den gleichen Maschinen noch wenige Jahre zuvor den Tod und die Vernichtung über die Hauptstadt Hitler-Deutschlands gebracht hatten, garantierten nun das Überleben der 2,1 Millionen Einwohner.

Alles, was die Stadt benötigte, wurde über die drei offenen Luftkorridore aus den drei Westzonen eingeflogen: Kohlen, Kartoffeln und Care-Pakete, Milchpulver und Mehl – sogar die einzelnen Bauteile für ein Strom-Kraftwerk, das dann in Berlin aufgebaut wurde. Vor allem aber vermittelten sie das Gefühl von Sicherheit und die Hoffnung auf Freiheit. Im Gegenzug flogen die „Rosinenbomber“ nicht nur in Berlin produzierte Waren und Industriegüter aus, sondern ermöglichten auch Kindern den Flug in Ferienlager im Westen.

Bis zum letzten Flug am 30. September 1949 führten die Alliierten nach offiziellen Angaben 277 246 Flüge durch und legten dabei eine Strecke von 175 Millionen Kilometern zurück, das entspricht einer Strecke von rund 4400 Mal um den Erdball. Sie brachten rund 1,8 Millionen Tonnen Güter in die Stadt, andere Quellen sprechen gar von bis zu 2,34 Millionen Tonnen.

300 Flugzeuge flogen im Dauereinsatz in exakt 13,5 Kilometer Abstand in exakt der gleichen Geschwindigkeit bis zu sechs Etagen übereinander über den nördlichen und südlichen Korridor nach Berlin, und über den mittleren zu ihren elf Basen in der amerikanischen und britischen Zone wieder aus.

Alle 90 Sekunden landete eine Maschine in Tempelhof, Gatow und später auch in Tegel sowie auf der Havel. Die Flugzeuge verkehrten damit dichter als die Berliner U-Bahn. In einer halben Stunde mussten die Maschinen geleert werden.

Alle 90 Sekunden ein Flugzeug

Auf dem Höhepunkt der logistisch einzigartigen Aktion, die nur möglich war, weil der reine radargestützte Instrumentenflug eingeführt wurde, landeten an Ostern 1949 innerhalb von 24 Stunden 1398 Flugzeuge im 60-Sekunden-Abstand und brachten 12 940 Tonnen Fracht mit, das war mehr, als vor der Blockade auf den Land- und Wasserwegen transportiert worden war. 29 Flugzeuge stürzten ab, 78 Menschen verloren ihr Leben. An sie erinnert das „Luftbrückendenkmal“ vor dem Flughafen Tempelhof. Allein die amerikanischen Transportkosten beliefen sich auf rund 250 Millionen Dollar, insgesamt dürfte die gesamte „Luftbrücke“ rund eine Milliarde Euro gekostet haben.

Das Kalkül Stalins war nicht aufgegangen, im Gegenteil. Der Kremlchef stand als großer Verlierer da. Die Einbindung der drei Westzonen in das westliche Politik-, Wirtschafts- und Wertesystem hatte er nicht verhindert, sondern beschleunigt. Die „Luftbrücke“ hatte entscheidende psychologische Folgen: Für die im Entstehen begriffene Bundesrepublik wurde die Westbindung eine Herzensangelegenheit, die drei Westalliierten waren von Besatzern zu Beschützern, von Feinden zu Freunden geworden. Der politische Preis für die Freiheit West-Berlins waren allerdings die Spaltung der Stadt und die Teilung der Nation, die bis zum 3. Oktober 1990 dauern sollten.

 
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