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Zweite Staatsbürgerschaft kann in Deutschland zu gravierenden Konflikten führen
Zum Leitartikel "Der Pass bestimmt nicht das Ich" (12.8.)
Redaktion
 |  aktualisiert: 21.09.2016 03:40 Uhr
Schade, Herr Wiedemann! Ihr Leitartikel klingt wie der Theaterdonner im Polittheater. Mit effektvollen Schreckblitzen davor setzen Sie die „ewigen Wiedergänger der politischen Diskussion“ in Szene und erzählen vor diesem Hintergrund polternd die Geschichte vom bedrohten Ich, das auf dem Weg zur Glückseligkeit jene doppelte Staatsbürgerschaft braucht. Damit wühlen Sie Gefühle auf und schüren Politikverdrossenheit. Ein Leitartikel als meinungsorientierte Darstellungsform aber sollte nicht bloß mit Reizwörtern emotionalisieren, er sollte auch begründet darlegen. Ein Beispiel zu „Leitkultur“ und „abgeschaffter Optionspflicht“: Ja, Menschen wachsen in unterschiedlichen Kulturen auf. Nein, Wechsel der Staatsbürgerschaft bedeutet bei uns eben nicht Aufgabe der eigenen und Übernahme fremder kultureller Identität. Wer deutscher Staatsbürger wird, wird dies mit seiner eigenen kulturellen Prägung. Aber er gehört nun zum Staatsvolk, unterstellt sich den Regierenden in unserer Demokratie und wie diese dem Grundgesetz. Im so gesteckten Rahmen kann er, auch als Frau, voll an der Ausübung der Staatsgewalt teilnehmen. Er kann wählen und gewählt werden oder als Staatsanwalt, Richter, Polizist oder Lehrer Beamter werden. Seine Gleichstellung als Bürger unter Bürgern verändert so auch unsere Dörfer und Städte. In Hannover etwa wurde 1993 eine der größten europäischen buddhistischen Pagoden mit zugehörigem Kloster für 9 Millionen DM fertiggestellt, und in Deutschland gab es im Jahr 2009 laut Statistik-Portal bereits 2600 muslimische Gebetsräume, 206 Moscheen mit Minaretten und 120 Moscheen im Bau. Und weil wir Minderheiten achten, müssen Alteingesessene diesen Wandel der Kulturlandschaft dulden. Anderes Beispiel zu Ihrer Warnung vor „Loyalität zur deutschen Nation“ : Eine zweite Staatsbürgerschaft kann in Deutschland zu gravierenden Konflikten führen. Was anderswo Recht ist, kann bei uns aus guten Gründen verboten sein. Dürfen im Ausland geschlossene Kinderehen zum Beispiel in Deutschland gelebt werden? Medienberichten zufolge wurden in Bayern bis Ende April 161 Fälle von verheirateten Asylbewerbern unter 16 Jahren und 550 Fälle von Verheirateten unter 18 Jahren registriert. Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg hat eine nach ausländischem Recht geschlossene Kinderehe eines 15-jährigen Mädchens mit ihrem 21-jährigen Ehemann anerkannt und damit bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Elisabeth Winkelmeier-Becker, rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ärgert sich: "In Deutschland ist die Eheschließung beispielsweise einer 14-jährigen mit einem Erwachsenen völlig inakzeptabel. Der Staat hat hier eine Schutzfunktion, die er auch gegenüber minderjährigen Flüchtlingen wahrnehmen muss." Laden Entscheidungen wie jene des OLG Bamberg ausländische Regierungen nicht dazu ein, über Bürger mit zweiter Staatsangehörigkeit zu versuchen, das Wertesystem der Staatsbürger der BRD in Frage zu stellen? Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan etwa regiert seit dem Militärputsch per Dekret, versammelt mit nationalistischen Parolen vaterländische Türken auch in Deutschland zu tausenden hinter sich und droht türkischstämmigen deutschen Volksvertretern mit Klagen vor Gericht, weil sie die Armenien-Resolution der Bundesregierung unterstützten. Er missachtet antidemokratisch die Gewaltenteilung, die Freiheit der Rede oder der Versammlung oder der Religion. Wie schreiben Sie in Ihrem Leitartikel doch so richtig? „Ein demokratisches Gemeinwesen, ein offenes zumal, ist darauf angewiesen, dass möglichst viele ihren Teil beitragen.“ Ob ein zweiter Pass also ein Hindernis ist, stellt sich dem als Frage, der Staatsbürgerschaft in Ihrem Sinne als Verpflichtung begreift. Geht es derzeit noch, in einer Person deutscher und türkischer Staatsdiener zu sein? Ich selbst bin froh, als Teil des bunt gewordenen Staatsvolks, also des Souveräns, in meiner BRD tatkräftig mündiger Bürger sein zu dürfen. Ich trage meinen Pass als Ausweis dieses Privilegs.

Kurt Riedel, 97453 Schonungen
 
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