Das von Ihnen gezeichnete Szenario ist noch längst nicht komplett! Der beschlossene Atomausstieg macht nur noch den kleineren Teil des Verlustes an Erzeugerleistung aus. Hier muss man die deutschlandweiten Zahlen heranziehen: Bis 2038 ist ja auch der Kohleausstieg beschlossene Sache. Insgesamt kappen wir daher bis in 17 Jahren die Hälfte unserer Erzeugerleistung! Dem aber noch nicht genug. Wir haben ja auch beschlossen, Verbrennungsmotoren abzuschaffen. Rechnet man den Verbrauch an Kraftstoffen nach Angaben des Bundesamtes für Statistik auf entsprechende Ladeleistungen im elektrischen Netz um, so packen wir auf den Bedarf an Strom, den wir heute schon haben, noch 150 Prozent hinzu. Es werden uns also in ungefähr 20 Jahren ungefähr 80 Prozent der benötigten elektrischen Erzeugerleistung fehlen (bei Fahrzeugantrieben mit grünem Wasserstoff ist das Verhältnis sogar noch schlechter).
Alternativen? Hm... Da wäre einmal die Photovoltaik zu nennen. Einer überschlägigen Berechnung nach würde es reichen, wenn wir etwa 50 Prozent unserer Dachflächen in Deutschland mit Solarzellen pflastern - also etwa alle, halbwegs nach Süden ausgerichteten Flächen. Das hat jedoch einen minimalen Pferdefuss. Durch die Umrichtertechnologie, die erforderlich ist, misst man so an gemütlichen Sonntagen im Sommer aus einer ganz normalen Steckdose bis zu 800 V, da die garantierten (230 +/- 34,5) V nur für die 50Hz-Grundschwingung gilt, nicht jedoch für die Oberwellen, die durch die Umrichter der Solaranlagen erzeugt werden (daher sieht die VDE eine Mindestspannungsfestigkeit bei Hausisolierungen von 1000 V vor!). Auch ist das Zusammenschalten von Solaranlagen im Netzbetrieb nicht ohne Tücke, wie so mancher Betreiber von umrichtergesteuerten Elektromotoren bestätigen kann. Dass neben der hohen Spannung an der Steckdose natürlich auch die Abstrahlungsleistung der Elektroleitungen deutlich ansteigt... kaum erwähnenswert.
Windkraft? Prinzipiell wäre das eine Alternative. Hier zeigt jedoch die praktische Erfahrung, dass große Rotoren verhältnismäßig schlechtere Energieausbeuten bringen, als kleine. So kann man leicht umrechnen, dass im Bereich Haßberge eine 2MW-Windkraftanlage mit 112 Meter Rotordurchmesser tatsächlich im Jahresmittel nur knapp 70 kW an Erzeugerleistung bringt. Das hat zwei Gründe: Zum Einen werden Windböen mit abnehmender mittleren Windgeschwindigkeit immer kürzer. Dadurch steht bei großen Rotordurchmessern dessen Massenträgheit ihrer Effizienz im Weg. Zum anderen haben in Deutschland Solaranlagen im elektrischen Netz "Vorfahrt", sodass, sollte tatsächlich einmal etwas Strom aus einer Windturbine heraus kommen, dieser noch lange nicht den Weg ins Netz findet.
Auch sind die Fortschrittszahlen, die immer wieder durch die Presse geistern, zumindest "sehr wohlwollend zu betrachten". So geben namhafte Institute den Zuwachs an erneuerbaren Energien mit von 26 Prozent 2019 auf 46 Prozent in 2022 an. Seltsamerweise findet man aber beim Bundesamt für Statistik nur knapp 41 Prozent Erzeugerleistung für erneuerbare Energien. Sieht man sich diese Zahlen genauer an, stellt man mit Erstaunen fest, dass der enorme Zuwachs zwischen 2019 und 2020 dadurch entstanden ist, dass man 2019 die Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien auf die Gesamtverbrauchsleistung bezogen, 2020 dann aber den Zukaufanteil aus Nachbarländern herausgerechnet hat - ganz genau betrachtet ist also der Zuwachs sogar eine Stagnation bis leicher Rückgang.
Eine entsprechend dokumentierte (und auch in entsprechenden Fachgremien diskutierte) Anfrage habe ich vor einigen Monaten an das Wirtschaftsministerium gestellt. Als Antwort erhielt ich die Mitteilung, dass die Energieversorgungsunternehmen die Bedarfsentwicklung "im Auge haben" (kein Wort von e-Mobility im Netzentwicklungsplan!) und man doch "Risikoszenarien" für kontraproduktiv halte, da sie die Bürger verunsicherten. Nun frage ich mich allerdings dann doch, warum man immer häufiger davon liest, dass es zu massiven Störungen im Energienetz kam und man "nahe an der Grenze zu massiven Netzausfällen" gewesen sei? Könnte es sein, dass man uns hier mit unqualifiziert aufgetragener, grünen Sosse einseift und wir vielleicht doch in Kerzen, Wassereimer und warme Decken, statt in e-Mobility investieren sollten?
Markus Winterstein, 97484 Königsberg