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Stetige Abwärtsspirale im Bildungssystem
Zu den Artikeln "Schüler fordern Durchschnitts-Abi" (27.1.) und "Übertrittsregelung ist nicht zeitgemäß" (29.1.):
Redaktion
 |  aktualisiert: 10.02.2021 02:17 Uhr

Quo vadis Bildungssystem? Diese Frage stellt sich in diesem Lande schon lange, obwohl Bayern bislang noch damit gesegnet war, im Bundesdurchschnitt ein relativ hohes Niveau gehalten zu haben. Eigene Erfahrungen als Universitätsprofessor in Berlin zeigten, wie tief das Bildungs- und Leistungsniveau von sogenannten 1er-Abiturienten sinken konnte, weil die „Bildungspolitik“ in den letzten Jahrzehnten ein ständiges Experimentierfeld der Politiker ist. 

Kann man den jetzt protestierenden Schülern einen Vorwurf machen?

Nein, denn sie wurden und werden ja in einem immer niveauloser werdenden System sozialisiert, in dem eine Noteninflation Bestleistungen suggeriert und Standards beständig nach unten verschoben werden, so dass es aus politischer Sicht „passt“.  Der Schlachtruf primär rot-grüner Bildungspolitik lautet: „Abitur für alle“. Unter dem selbstverständlich erstrebenswerten Ansatz der Vermittlung einer besseren „Bildung für alle“ wurde der Gesellschaft allerdings vorgegaukelt, dass es nur mit Abitur überhaupt noch Chancen im späteren Überlebenskampf gebe und so steigt der Druck auf Kinder und Lehrer beständig. „Mein Kind muss auf das Gymnasium!“ ist die allenthalben zu hörende Forderung, koste es was es wolle: Sehr häufig kostet es die unbeschwerte Kindheit, ein Haufen Geld für Nachhilfeunterricht und produziert Unzufriedenheiten auf allen Seiten, sowohl bei Kindern als auch bei Eltern und Lehrern.

Das führte zu einer stetigen Abwärtsspirale im Bildungsniveau, denn welcher Lehrer kann sich schon auf Dauer ständig quengelnder Eltern erwehren, zumal der Rückhalt von Schulleitung, Schulamt und besonders der Politik fehlt. Quoten werden gefordert, Quoten werden produziert, da der Erfolg eines Bildungssystems derzeit vorzugsweise an Absolventenzahlen gemessen wird. Aber wenn alle  Abitur haben, hat eben keiner Abitur. Und so wird gerne auch nicht mehr von „Hochschulreife“ sondern nur noch von „Hochschulzugangsberechtigung“ gesprochen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Die Aussage des scheidenden Schulamtsdirektors Pfeuffer, die „Übertrittsregelung sei nicht zeitgemäß“, ist in diesem Politikansatz natürlich logisch und kommt beim Wähler auch gut an, ist aber ein Schuss in den Rücken der Lehrer und auch eines bewährten Systems, Kindern in ihrer aktuellen Leistungsstärke tatsächlich gerecht zu werden: Dass Eltern für ihre Kinder das – vermeintlich – Beste wollen, ist ja klar. Aber sie haben in der Regel gar nicht die Kompetenz, dies zu beurteilen, weil sie einfach emotional zu stark belastet sind.

Selbst wenn es einmal zu einer „Fehlbeurteilung“ seitens des Lehrers käme und das Kind in einer Haupt- oder Realschule tatsächlich unterfordert wäre, so besteht im System immer die Möglichkeit zu wechseln. Herr Pfeuffer selbst berichtet von Lehrern, die Spätstarter waren und die Durchlässigkeit des Systems nutzen konnten. Leider wird der Begriff „Bildung“ allzu gern mit dem Begriff des „Abiturs“ gleichgesetzt: Das Bildungsniveau und der Wert eines Menschen machen sich Gott sei Dank aber nicht nur an diesem Schulabschluss fest.

Das Ergebnis nach 40 Jahren Schulexperiment ist jedenfalls in der Konsequenz fatal: Zu viele Studenten, zu wenig gute Handwerker und zu viele Juristen. Nun fordern Schüler ein „Durchschnittsabi“, weil sie Angst haben, schlechte Noten zu bekommen. Da wird dann wieder auf der Gerechtigkeitsklaviatur gespielt und mit der enormen psychischen Belastung argumentiert: Altbekannte und in vielen Fällen erfolgreiche Muster, mit denen Lehrer mittlerweile täglich konfrontiert werden:  Statt „per aspera ad astra“ und ein „Jetzt erst recht“ kommt ein Jammern, wie schlimm alles sei und statt sich zu Hause hinzusetzen und zu lernen („Carpe diem“), werden Petitionen verfasst. Aber man muss natürlich zur Entschuldigung anführen: Sie sind Kinder einer Gesellschaft, die es sich angewöhnt hat, auf hohem Niveau zu jammern.

Von Schülern in der Abschlussklasse eines Gymnasiums sollte man aber tatsächlich verlangen können, weitestgehend selbstständig zu arbeiten. Das ist der Anspruch der gymnasialen Ausbildung und das, was auch von Studenten erwartet wird. Wenn man es umgekehrt betrachten wollte, haben es gerade diese Schüler des letzten Jahres  gegenüber den Vorgängergenerationen eigentlich sogar besser: Sie werden nicht durch übermäßige Freizeitaktivitäten abgelenkt, sondern können Dank des Lockdowns konzentriert und fokussiert ihren Stoff erarbeiten. Aber – siehe oben: Die wenigsten kommen tatsächlich studienreif an die Universitäten, weil sie als Kinder von Helikoptereltern, „Recht-auf“-Gesetzen und „Work-Live-Balance“-Parolen dieses Niveau nicht mehr erlangen konnten.

Deshalb Schüler aller Schulen: Vereinigt Euch! (Aber bitte nur samstags!) Ihr müsst den ganzen bildungspolitischen Unfug der letzten Jahrzehnte in Zukunft beiseite räumen, Euren Kindern eine sowohl fordernde als auch fördernde Ausbildung ermöglichen und erkennen, dass zur Bildung mehr gehört als ein Abitur mit inflationären Noten. Ein Vorschlag nach 35 Jahren Lehre: Unabhängig vom Fächerkanon, über den man trefflich diskutieren kann, sind kleine Klassen (1 Lehrer auf maximal 16 - 18 Schüler) der allerwichtigste Punkt einer guten schulischen Ausbildung. -

Und selbst wenn mein abschließender Rat vermutlich zu grob formuliert und auch wieder als nicht mehr zeitgemäß in die sog. politische Correctness dieser Tage passt - er schadet nicht und ist in jedem Fall resilienzfördernd für das ganze Leben: „Einfach jetzt mal Arschbacken zusammenkneifen und durchziehen.“

 Prof. Dr. Peter Pospiech,  97230 Estenfeld

 
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