Für mich ist Saint Boy der Held der Olympischen Spiele von Tokio. Mit seiner Verweigerung wird er in die Geschichte der Olympischen Spiele eingehen als stummer Widerständler gegen die weltweit vorgeführte Art von Tierquälerei um des lieben Goldes willen. Durch seine konsequente Haltung, als Leih-Pferd beim lebensgefährlich-halsbrecherischen Springreiten nicht mitzumachen, hat er die Welt auf eine sadistische Sportart aufmerksam gemacht, welche eher abgeschafft als mit einem neuen Reglement „reformiert“ werden sollte. Nur durch ein empathisches Verhältnis zwischen Pferd und Mensch kann man ein Pferd, das ursprünglich in offenen Landschaften lebte, und auch heute nur aus Angst vor Feinden auf der Flucht über Gräben und Hindernisse springt, zu solch außergewöhnlichen Leistungen motivieren. Will man das ohne das Vertrauen des Pferdes erreichen, geht das mit harter Dressur, Gewalt oder Brutalität. Das schafft man als Mensch nur, wenn man Einstell- und Leihpferde als gefühllose Sportgeräte behandelt; Mitleid mit der Kreatur Pferd würde beim Menschen eine „Beißhemmung“ hervorrufen, die im Falle des Springreitens für den Reiter oder die Reiterin bei Wettkämpfen kontraproduktiv wäre. So tut mir nicht nur Saint Boy leid, sondern auch die Reiterin Annika Schleu. Sie wurde wohl ob ihrer Liebe zu Pferden als leicht lenkbares Pferdemädchen im Laufe ihrer Karriere hin zur Springreiterin schon früh erkannt und von ehrgeizigen Pferdesport-Verbandsfunktionären und Trainern hochgepuscht. Dass Annika Schleu ihr unbeherrschtes Verhalten leidtut, ist durchaus glaubhaft. Doch der häufige Wechsel von Brutalität und anschließendem Schuldeingeständnis ist ein bekanntes Muster aus der Psychologie des Missbrauchs zwischen Menschen. Die Lösung für einen menschenwürdigeren modernen Fünfkampf wäre die Herausnahme des Springreitens zum Beispiel zugunsten einer Form des Geländefahrens mit dem Bike.
Frank Stößel, 97299 Zell