Testen die Regierungen von Polen und Ungarn mit ihrer Provokation, europäisches Recht nicht anerkennen zu wollen, gerade die europäische Wertegemeinschaft auf ihre Standfestigkeit hin, um am Ende vielleicht sogar den Rauswurf zu riskieren, anstatt von sich aus den Austritt zu erklären? Wie lange werden beide Völker es noch hinnehmen, dass ihre Ministerpräsidenten sich weiterhin das jeweils nationale Recht zurecht biegen, wie es ihnen passt? Ist diese Haltung der indirekte Austritt aus der EU, wie der Europa-Abgeordnete Manfred Weber schon anmerkte? Welcher Tropfen könnte dieses Fass zum Überlaufen bringen?
Dass Polen, Ungarn, gar Tschechien und die Slowakei, ausgerechnet Putin diese Freude bereiten wollen, erschließt sich mir nicht. Vielmehr zeigt das Verhalten dieser "Aufständischen Vier", dass ihre derzeitigen Regierungen eine supranationale Union partout nicht wünschen. Wir wissen allerdings selbst nicht, wie die EU-Bürgerschaft diese elementare Zukunftsfrage einschätzt. Eine Erklärung für den Widerstand gegen diese Vision wären die unguten Erinnerungen an die Zeiten als Vasallenstaaten der Sowjetunion. Dabei wäre genau die daraus folgende Gretchenfrage an alle Europäerinnen und Europäer, um der seit 1990 neuen russischen Weltmacht ein angemessenes Gegengewicht für Sicherheit und Wohlstand gegenüber zu stellen: "Wollt ihr die Vereinigten Staaten von Europa oder nicht?" Was also streben Polen und Ungarn dann wirklich an? Geht es ihnen doch nur um ihre konservativen Werte, die sie per Blancoscheck von der EU und ohne Rücksicht auf die an sich gebotene Rechtsstaatlichkeit durchsetzen wollen? Es geht auf jeden Fall um den Kern der EU, ihre fest geschriebenen Werte. Sie sind in einem Bund selbstbewusster Nationalstaaten schwerer einzuhalten als in einem übernationalen Staat, wie ihn die "Vereinigten Staaten von Europa" darstellen würden. Die Ängste vor so einem Gebilde gilt es ernst zu nehmen und offen miteinander zu verhandeln.
Frank Stößel, 97299 Zell am Main