Es fehlt die einheitliche Datenspeicherung
Zu Artikeln über den Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt
Vielleicht ist dem Fall Amri eine positive Seite abzugewinnen, nämlich die Erkenntnis, dass die administrativen und staatlichen Strukturen Deutschlands uneeignet sind, um Terrorismus und Sozialbetrug zu bekämpfen. Herr Amri hat mit gefälschten Identitäten mehrfach Sozialleistungen erschlichen. Dies hat nichts mit Terrorismus und nur nebenbei mit Ausländern zu tun. Es hat alles zu tun mit der herrschenden Daten-Kleinstaaterei in Deutschland, wo jede Kommune, jeder Regierungsbezirk, jedes Bundesland und schließlich der Bund seine eigenen Daten hegt und pflegt, anstatt dass es - wie in jedem anderen Staat Europas - zentrale (nationale) Datenbanken gibt, in denen Daten anwendungsübergreifend gespeichert sind. Als Grund hierfür wird der Föderalismus zitiert. Aber Österreich hat das gleiche föderale Modell wie Deutschland, und hat trotzdem eine zentralistische Datenspeicherung. Der Schlüssel zu einer einheitlichen Datenspeicherung ist die eindeutige Identifizierung. Wenn ein Flüchtling nach Deutschland kommt, werden seine Fingerabdrücke mehrmals genommen - auf verschiedenen Verwaltungsebenen. Angesichts einer fremdländischen Scheibweise des Namen und eines unbestätigten Geburtsdatums, ist der Fingerabdruck die einzige eindeutige Identifizierung nicht nur von Flüchtlingen, sondern auch von vielen anderen Migranten. Aber was nützt die Eindeutigkeit, wenn sie nur für ein bestimmtes Amt bzw. Aufgabenbereich gilt? Nichts! Derjenige, der vorsätzlich Sozialleistungen erschleichen will, weiß, dass er nur in ein anderes Bundesland gehen muss, um einen weiteren Antrag genehmigt zu bekommen. Aber auch dies ist nur die Spitze des Eisberges. Die fehlende Datenintegration auf nationaler Ebene verursacht immense administrative Kosten. Kindergeld wird beispielsweise von der Bundesagentur für Arbeit bezahlt, wenn der Empfänger im Privatsektor arbeitet, aber von den zuständigen Besoldungsstellen, wenn der Empfänger im öffentlichen Dienst arbeitet. Dies führt dazu, dass bei jedem Kindergeldantrag geprüft werden muss, ob Kindergeld nicht von einer anderen Stelle bezahlt wird - ohne Automatik. Anderes Beispiel: wenn Sie in ein anderes Kfz-Zulassungsbezirk umziehen, müssen Sie, neben der Ummeldung im kommunalen Einwohnermeldeamt, ihr Fahrzeug im Landratsamt ummelden. Wenn wir einen einheitlichen, nationalen Detenbestand hätten, wäre die Adresse einmal gespeichert, erreichbar für alle Anwendungen. "Datenschutz" schreien die Kritiker. Nichts gegen Datenschutz, aber er darf nicht als Feigenblatt benutzt werden, um administrative Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst zu schützen. Die Terrorismusbekämpfung verlangt mehr Personal. Bauen wir unnötige Administration durch einen integrierten Datenbestand ab, und schon sind die Gelder frei, um neues Personal einzustellen. Herr de Maiziere ruft nach mehr Bundeskompetenzen für polizeiliche Aufgaben. Viel besser wäre es, die bestehenden Strukturen zu belassen, und íhnen Zugriff auf einen einheitlichen, national Datenbestand zu geben. Leider bin ich sehr pessimistisch, ob solche Vorschläge eine Überlebenschance in Deutschland haben. Wenn sie überhaupt zur Diskussion gelangen, wird man zuerst diejenigen fragen, die im Besitz der jetzigen Datenbestände sind - die Institutionen auf den verschiedenen Verwaltungsebenen und die zuständigen Datenzentralen. Wie schon in der Reaktion der Bundesländer auf de Maiziere's Vorschlag gesehen, werden sie sofort "Nein" schreien. Sie werden nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzen! Sollte, per absoluter Zufall, der Vorschlag überleben, dann stellt die Realisierung eine zweite, enorme Hürde. Ein ähnliches Projekt in seiner institutionsübergreifenden Wirkung, aber viel kleiner im Umfang, war die Einführung der Gesundheitskarte. Dies hat über zehn Jahre gedauert, und am Ende existierte eine Riesenkluft zwischen dem ursprünglich geplanten und dem realisierten System. Der einzige gangbare Weg: ein solches System von einem fortschittlichen EU-Staat - wie bspw. Estland - kaufen. Aber da steht der Stolz der führenden Industrienation Europas im Wege."
Richard Lomax, 97292 Holzkirchen
Richard Lomax, 97292 Holzkirchen
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