Beim Lesen der italienischen Zeitung „Corriere d´Italia“ (Ausgabe Februar 2020, S. 2) stach mir der Artikel ins Auge „Referendum sulla riduzione dei parlamentari; si vuota il 29 marzo 2020“ (Volksbefragung zur Verringerung der Parlamentarier; am 29 März 2020 wird gewählt).
Der Verfasser weist darauf hin, dass der italienische Ministerrat auf Vorschlag des Präsidenten Giuseppe Conte gem. Art. 138 der italienischen Verfassung eine Volksbefragung angesetzt hat mit dem Ziel, eine Änderung der einschlägigen Artikel der Verfassung zur Reduktion der Anzahl der Parlamentarier herbei zu führen.
Angedacht ist eine Verringerung der Zahl der Abgeordneten von 630 auf 400 und der Senatoren von 315 auf 200, also jeweils um mehr als ein Drittel!
Viele interessierte Bürger haben in der jüngsten Vergangenheit die immer wieder einmal - geradezu hilflos wirkenden – Ansätze zur Verkleinerung des Deutschen Bundestages verfolgt und die mühsamen argumentativen Anstrengungen des Bundestagspräsidenten Dr. Schäuble erlebt, die auf nunmehr 709 angewachsene Zahl der Parlamentarier wirksam zu reduzieren, zumal eine weitere Vergrößerung des Parlaments auf bis zu 800 Abgeordnete durch Überhang- und Ausgleichsmandate durchaus möglich erscheint.
Es sei der Hinweis erlaubt, dass gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 des BWahlG die gesetzliche Anzahl seines (des Parlaments) das ganze Volk vertretender Mitglieder 598 beträgt und der aktuelle Bundestag bereits 111 Mitglieder mehr als die gesetzliche Mitgliederzahl umfasst (bisher größte Mitgliederzahl in der deutschen Geschichte, 78 mehr als im vorherigen Bundestags, 26 Überhang und 65 Ausgleichsmandate).
Es ist natürlich verständlich, dass aktuelle, virulente Tagesereignisse, wie die Coronavirus-Pandemie oder die massiven durch den Lockdown verursachten wirtschaftlichen Probleme die aktuelle Tagespolitik bestimmen und überlagern, dies sollte indes nicht dazu führen, dass dieses Thema, das von zunehmend kritischeren Bürgern durchaus offensiv diskutiert wird, einfach keinerlei Berücksichtigung mehr findet. Jedenfalls scheinen alle Stimmen, die sich meist sehr zaghaft damit beschäftigten, rundum verstummt!
Es trifft wohl auf viele Bürger zu, dass unser geltendes Wahlrecht in all seinen formalen Verästelungen ein Buch mit sieben Siegeln bleibt und wohl auch deshalb rasch zu der Frage führt, ob die Konstruktion von Überhang- und Ausgleichsmandaten für eine Intensivierung der praktischen Demokratie unabdingbar notwendig ist und es stellt sich sicherlich auch die Frage, ob die objektive Entscheidung zu drängenden und komplexen politischen Problemen durch eine so immense Zahl von 709 Entscheidern erleichtert, oder nicht gar erschwert wird!
Ich will gar nicht auf die oftmals geradezu unglaublich geringe Anzahl der anwesenden Parlamentarier auch bei höchst wichtigen Diskussionen und Entscheidungen im Bundestag eingehen (dies wird zumeist mit dem Hinweis abgetan, dass wir ein „Arbeitsparlament“ haben und die eigentliche Arbeit in den Ausschüssen geleistet wird), ich will auch nicht darauf verweisen, welche schon sehr beeindruckenden Kostensteigerungen ein ständig wachsender Bundestags verursacht – ein gutes Parlament sollte uns natürlich auch ein gutes Geld wert sein – aber müssen es wirklich so viele Abgeordnete sein, um eine funktionsfähige und konkret wirksame Demokratie zu gewährleisten?
Wir hören gerade in den turbulenten Zeiten der jüngsten politischen Ereignisse immer wieder den Anspruch einzelner Politiker, dass man doch für den Bürger da sei und auf den Bürger und seine Probleme hören müsse!
Könnte man nicht in der Frage einer wohl sinnvollen Verkleinerung des Parlaments einmal die Meinung der Bürger abrufen – wenn schon nicht durch eine aufwändige Volksbefragung so doch wenigstens durch Informationsgewinnung der Abgeordneten in direkten Bürgergesprächen in ihren Wahlkreisen? Ich bin ganz sicher, dass eine überwältigende Mehrheit der Bürger für eine signifikante Verringerung der Anzahl der Parlamentarier im Deutschen Bundestag votieren würde!
Die italienischen Politiker jedenfalls sind fest entschlossen, das Votum der Bevölkerung zu dieser Frage abzurufen und die aktuell geltenden Richtlinien entsprechend den Befragungsergebnissen zu ändern – warum sollten unsere Politiker nicht auch dazu bereit sein, nicht primär auf die Erhaltung möglichst vieler Mandate abzustellen, sondern eine logistisch, ökonomisch und letztlich sinnvolle Lösung dieses – zugegebenermaßen nicht unbedingt attraktiven – Themas zu finden?
Auf die Reaktion unserer regionalen Politiker bin ich sehr gespannt!
Jürgen Röhling, 97204 Höchberg