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Eine Lösungsstategie muss die "weichen" , aber mächtigen familiären Sozialisationsfaktoren berücksichtigen
Zum Artikel "Hinter den Angriffen auf die Polizei steckt die Krise der jungen Generation" (22.7.)
Redaktion
 |  aktualisiert: 05.08.2020 02:10 Uhr

Der interessante Artikel der Migrationsforscherin lässt jedoch noch 
einige Fragen offen:

Eine angebotene Erklärung für die Wut der Jugendlichen auf die 
Gesellschaft und die Polizei ist die oft "fehlende Vaterfigur" in 
Migrantenfamilien, die als "Vorbild und Stolz der Familie" dienen kann 
und von der (v.a. männliche) Jugendliche sich zugleich emanzipieren 
können. Dies begründet die Autorin damit, dass für viele vorher 
gesellschaftlich angesehene und erfolgreiche Familienväter die Migration 
mit sozialem Abstieg und damit Bedeutungsverlust verbunden ist. Dies ist 
sicher ein Problem; es trifft meiner Ansicht nach jedoch in stärkerem 
Maße nicht vorher Hochqualifizierte, sondern vielmehr Männer, die in 
ihren Heimatländern auch mit einfachen Arbeitstätigkeiten, z.T. ohne 
Berufsausbildung, ihre Familien gut versorgen konnten. Diese Männer 
bestehen im günstigen Fall den Integrationskurs  auf dem Sprachlevel B1 
und können dann nur in niedrig bezahlten, oft sogar prekären, Jobs 
arbeiten . Ihre identitätstiftende Rolle und Sicherheit als Ernährer der 
Familie ist damit stets gefährdet und zerbrechlich. Scheinbar genügt es 
diesen Vätern jedoch, wenn sie ihrer Familie so einen bescheidenen 
Wohlstand und entsprechende Statusssymbole (Auto, Großbild-TV usw.) 
finanzieren können. Darüber hinaus überlassen sie das familiäre 
Engagement ihren Ehefrauen und sind daher für ihre Kinder und 
Jugendlichen psychisch zu wenig präsent und greifbar. Warum jedoch 
planen und denken einige andere Väter langfristig und schaffen es, mit 
großer Willens- und Kraftanstrengung neue berufliche Qualifikationen zu 
erwerben, vielleicht sogar eine Berufsausbildung abzuschließen? Warum 
sind diese Väter für ihre Kinder wichtige Bezugspersonen und positive 
Autoritäten? Was ist in diesen Familien anders? Ich denke, eine wichtige 
Rolle spielen die Frauen, die sich ein Stück weit von der traditionellen 
dienenden Rolle emanzipieren, sich selbst weiterbilden, evtl. selbst 
eine Ausbildung beginnen und von ihren Ehemännern auch erwarten und 
einfordern, dass diese  sich in das Familienleben einbringen. Und 
Männer, die ebenfalls mehr Eigenverantwortung übernehmen, sich trotz 
Anstrengung die nötigen Alltagskompetenzen, z.B. im Umgang mit Behörden, 
Schulen usw., aneignen und ihre Kinder nicht durch Parentifizierung 
überfordern und dadurch langfristig deren Respekt verlieren.

Als Lösungsperspektive nennt die Autorin für die Jugendlichen u.a. "mehr 
Bildung, bessere Jobs und das Gefühl, aus ihrem Leben etwas machen zu 
können." Das ist unbestritten ein zentraler Punkt. Es gibt mittlerweile 
jedoch zahlreiche professionelle Bildungs- und Förderangebote für Kinder 
und Jugendliche aus Migrantenfamilien an den Mittelschulen, z.T. auch 
Realschulen und Gymnasien, den Berufsschulen, der FOS, dem Bayernkolleg, 
durch die Arbeitsagentur usw. Zudem ein breites ehrenamtliches 
Engagement. Warum werden diese Angebote nur zu einem Teil gewürdigt und 
genutzt? Warum ergreifen einige Jugendliche diese Chancen, lernen und 
arbeiten mit hohem Einsatz, erwerben höhere Schulabschlüsse, erlernen 
einen qualifizierten Beruf oder studieren? Und verzichten dafür auf 
kurzfristige Bedürfnisbefriedigung wie schnelles Geldverdienen sowie 
mehr Freizeit und Spaß?  Ich denke, in diesen Familien mit zielstrebigen 
und erfolgreichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund - die keine 
Steine auf Polizisten werfen! - vermitteln und leben Väter UND Mütter 
einen anderen Lebenssinn: Echten emotionalen Familienzusammenhalt 
anstatt nur traditionelle Familienfassade, Lernen und Bildung als 
eigenständige Werte (und nicht nur ergebnisorientiert wegen der Noten 
oder aufgrund von Druck!) , langfristige Zukunfts- und Lebensplanung 
anstatt nur kurzfristiger Bedürfnisbefriedigung, Verantwortung für das 
eigene Leben übernehmen anstatt auch Jahre nach der Migration immer noch 
auf fremde Hilfe oder die eigenen Kinder angewiesen sein. Die 
perspektivlosen Jugendlichen hingegen wachsen eher mit psychisch 
schwachen oder passiven Vätern und Müttern sowie einer materialistischen 
und berechnenden Wertorientierung auf, die zum Ziel hat, mit dem 
geringstmöglichen Einsatz den höchsten materiellen Effekt zu erzielen. 
Dies misslingt dann jedoch und daraus erwachsen Frustration und Wut.

Eine Lösungsstategie kann sich daher nicht auf die Verbesserung äußerer 
Umweltbedingungen beschränken, sondern muss diese "weichen" , aber 
mächtigen familiären Sozialisationsfaktoren berücksichtigen.

Jutta Brander und Mark-Björn Geibel, 97532 Üchtelhausen 

 
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