Die Arbeitnehmerbildungsstätte auf der Benediktushöche in Retzbach habe ich seit 1978 mit aufgebaut und war dort über 20 Jahre deren Leiter.
Ich war stolz darauf, dass meine katholische Kirche mit einem solchen Haus ein „Zeichen der Zeit“ setzte, sich der Interessen und Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung anzunehmen. Ich erinnere mich gerne an die vielen Veranstaltungen mit Betriebs- und Personalräten, mit Mitarbeitervertretungen und Gewerkschaftern, mit kirchlichen und weltlichen Verbänden, die dort an Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen mitwirkten. Sie konnten dabei die Erfahrung machen, dass die Kirche ihre oftmals schwierige Situation ernst nahm. Sie kamen auch gerne, weil sie die herrliche Lage hoch auf dem Benediktusberg genossen.
Und nun muss die Kirche sparen und setzt auch da den Rotstift an, wo infolge der Digitalisierung in den nächsten Jahren mit den größten Umbrüchen in der Gesellschaft seit den industriellen Revolutionen gerechnet werden muss: in der Arbeitswelt. Die Coronapandemie hat beschleunigt, was die technische Entwicklung schon lange andeutet. So wird zum Beispiel das sog. Homeoffice zu sozialen Beziehungen führen, die neu bewertet und richtig gestaltet werden müssen. Richtig heißt – und da hat sich seit den Sozialenzykliken nichts Grundlegendes geändert - , dass humane Arbeitsverhältnisse auch immer wieder an den Prinzipien Personalität, Subsidiarität und Solidarität gemessen werden müssen. Man könnte sagen: Nie war es so wichtig, die Menschen auf einen Wandel der Arbeitsbedingungen vorzubereiten wie jetzt im Zeitalter von Digitalisierung, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz. Dabei ist zu beachten, dass alles Neue auch sozial gestaltet werden muss.
Es macht mich überaus traurig, wenn ausgerechnet die katholische Kirche von „betriebsbedingten Kündigungen“ spricht, die kommen sollen, wenn angedachte Auffangmaßnehmen nicht greifen. Wo bleibt da einer der Kernsätze der Katholischen Soziallehre: Wo bleibt die Solidarität mit den Mitarbeitern?
Als ehemaliger Vorsitzender des Personalrats der Diözese habe ich zumindest erwarten können, dass über einen Solidaritätsfond nachgedacht werden würde, gegebenenfalls auch konkret, wie ein solcher finanziert werden könnte, z.B, dass in diesen die aktiven Mitarbeiter verpflichtend, ehemalige Mitarbeiter freiwillig einzahlen und auch der Klerus seinen angemessenen Beitrag leistet. So wie beim Missbrauchsskandal kommt die Kirche, wenn sie glaubwürdig sein will, auch hier an einen Punkt, wo sie sich bewähren muss. Ich erinnere an ein Wort des Arbeiterbischofs Ketteler vor 150 Jahren: „Eine Kirche ist nicht wahrhaft katholisch, wenn sie nicht wahrhaft sozial ist.“
Peter Keller, 97225 Zellingen