In genanntem Artikel berichtet ein Gymnasiallehrer eines Würzburger Gymnasiums von seiner „fast schon luxuriösen Situation“ bezüglich der Arbeitsbelastung für Gymnasiallehrer während des aktuellen Lockdowns. Es liegt nahe, dass diese Äußerung mehr über das Berufsethos und Dienstverständnis des Kollegen aussagt als über die tatsächliche Situation an den Gymnasien selbst. Zweifelsohne sind aktuell weder Schul- noch Stegreifaufgaben zu korrigieren, eine versierte und motivierte Lehrkraft wird jedoch auch ohne diese Vorschrift von den Schülern schriftliche Bearbeitungen von Haus- und Übungsaufgaben einfordern und korrigieren. Ich, der ich selbst als Gymnasiallehrer tätig bin und als Seminarlehrer auch die Ausbildung von Referendaren besorge, tue das zumindest und verlange es auch von meinen Referendaren.
Wenn man so verfährt, gestaltet sich die Arbeitssituation weitaus weniger luxuriös: Ein kleines Rechenbeispiel: Wenn eine Vollzeitlehrkraft mit zwei Kernfächern, etwa Englisch und Französisch, fünf Klassen unterrichtet, was üblich ist, und sich in jeder dieser Klassen nur 23 Schüler befinden, was für eine eher kleine Klasse spräche, und 80 Prozent dieser Schüler eine geforderte Aufgabe schriftlich einreichen, liegen der Lehrkraft ((23x5)x0,8 = 92) 92 Aufgaben zur Korrektur vor. Wenn eine solche Lehrkraft sich jeder Aufgabe nur 10 Minuten widmet, entsteht eine Nettoarbeitszeit von 920 Minuten, das sind 15,3 Stunden, also knapp zwei volle Arbeitstage. In diese Rechnung ist noch nicht einbezogen, dass die säumigen Schüler bzw. deren Eltern angeschrieben und fehlende Arbeitsaufträge eingefordert und gegebenenfalls nachkorrigiert werden. Es ist ebenfalls in dieser Rechnung vorausgesetzt, dass die Beispiellehrkraft nur einen Arbeitsauftrag pro Woche einfordert – in meinen Klassen sind es häufig zwei.
Es ist unschwer erkennbar, dass auch für engagierte Gymnasiallehrkräfte -wohlgemerkt: engagierte (!) - die Lockdown-Situation schwierig und vor allem arbeitsintensiv ist, ebenso wie für Grundschullehrkräfte, Förderschullehrkräfte, Eltern und natürlich die Schüler. Wenn einzelne Kollegen die Pandemiesituation dazu verwenden, durch eine Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität sich eine luxuriöse Arbeits- oder vielmehr Freizeitsituation einzurichten, dann wurde nicht nur das Wort „Staatsdiener“ falsch verstanden, sondern offenbar auch der Beruf verfehlt. Da helfen dann auch bunte YouTube-Videos nichts.
Dr. Peter M. Günzel, 97268 Kirchheim