Der Historiker Golo Mann formulierte den Satz: "Wer die Vergangenheit nicht kennt, wird die Zukunft nicht in den Griff bekommen." Warum ignoriert die mediale Berichterstattung so konsequent die jüngere Vergangenheit? Im Artikel 2 des Zwei-plus-Vier-Vertrages, der dem vereinten Deutschland im Jahr 1991 die volle innere und äußere Souveränität bescherte, heißt es: "Die Regierungen der BRD und der DDR erklären, dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung (d.h. zur Verteidigung) und der Charta der Vereinten Nationen." Im Vorfeld der Verhandlungen drückte der damalige Außenminister Genscher sich bei einem Vortrag vor der Ev. Akademie Tutzing wie folgt aus: "Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten, das heißt näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben." Und im Zuge der Verhandlungen zum Vertrag sicherten die Außenminister der USA und Großbritanniens, Baker und Hurd, der sowjetischen Seite zu: "... nichts zu tun, was sowjetische Interessen und sowjetische Würde beeinträchtige!" Wenn dies auch vertraglich nicht festgehalten wurde, nannte es ein amerikanischer Politikwissenschaftler: "...dennoch politisch und moralisch bindend."
Als in 1997 Präsident Clinton den Staaten der zerfallenden und zerfallenen Sowjetunion anbot, Mitglied der Nato zu werden, wandten sich mehr als 40 ehemalige, hochrangige amerikanische Politiker, Botschafter und Abrüstungs-/Militärexperten in einem offenen Brief an ihn, forderten ihn auf, das Angebot auszusetzen und bezeichneten es als "politischen Irrtum von historischen Ausmaßen". Der ausgewiesene Russlandkenner, ehemalige Gesandte in Moskau und spätere Chef des Planungsstabes im amerikanischen Außenministerium, George F. Kennan, charakterisierte das Angebot als "verhängnisvollster Fehler der amerikanischen Politik in der Ära nach dem Kalten Krieg" und begründete es, im Übrigen inhaltsgleich wie die anderen Kritiker: "Diese Entscheidung lasse erwarten, dass die nationalistischen , antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der Meinung Russlands entzündet werden; dass sie einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, dass sie die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen Osten und Westen wieder herstellen ...". Clinton ignorierte all diese Bedenken - und die Baltischen Staaten, Polen und Ungarn wurden Mitglieder der NATO. Die Ukraine soll nun folgen. Augen zu und weiter so!
In 2022, 25 Jahre später, können wir festhalten, dass die kritischen Sätze, formuliert von Kennern mit politischem,geschichtlichem und psychologischem Wissen, heute die Realität widerspiegeln - und die gerne beklagt wird! Sie waren vor 25 Jahren Ausdruck von Vernunftwahrheit und sind heute eine Tatsachenwahrheit (Hannah Arendt) - und keine politische Meinung! Man könnte es noch drastischer formulieren: Die Geschichte wiederholt sich, weil die handelnde Politik die Vergangenheit ignoriert und nicht dazulernt, und die Medien gerne in der allgemeinen Linienführung der Mehrheit berichten.
Bernd Moser, 97318 Kitzingen