Es ist gut, dass die Main Post dieses Thema aufgreift, denn es kommt in der öffentlichen Diskussion viel zu kurz. Sie sprechen viele richtige Punkte an bei der „Digitalisierung“ des Gesundheitssystems durch die „Telematikinfrastuktur“ an, v.a. dass die Dinge tatsächlich in der Praxis einfach nicht funktionieren. Allerdings sprechen sie leider das Hauptproblem dabei nicht an.
Wie die meisten Akteure sprechen sie hier über „Digitalisierung“. Ich denke, in praktisch ausnahmslos jeder Praxis, Klinik und Apotheke sind die Arbeitsabläufe digitalisiert, niemand arbeitet mit handgeschriebenen Karteikarten. Das ist jedoch nicht der Kernpunkt, es geht um allumfassende Vernetzung und Speicherung der vom Arzt erhobenen Daten auf zentralen Serverstrukturen, die von privaten Unternehmen gehostet werden. Die fundamentale Kritik, die viele Ärzteverbände an diesem Vorhaben äußern, liegt auf der Hand: die ärztliche Schweigepflicht wird da facto abgeschafft, da zu befürchten ist, dass diese Daten für kommerzielle Zwecke mißbraucht werden. Außerdem werden zentrale Server mit attraktiven Daten immer Angriffe von Hackern nach sich ziehen, dies wird nicht zu verhindern sein, wenn man bedenkt, dass selbst das Pentagon bereits gehackt wurde.
Also muss man sich als Bürger fragen, ob man das überhaupt will: sämtliche Behandlungsdaten, die jemals bei einem Arzt erhoben wurden, also Diagnosen, verordnete Rezepte usw. werden zentral gespeichert, was in Zukunft mit diesen Daten passiert, ist völlig unklar. Man stelle sich vor, was passiert, wenn diese Daten nicht unter Verschluss bleiben. Wer möchte denn, dass Unbeteiligte, zum Beispiel Banken und Versicherungen, wissen, dass man beispielsweise wegen einer Depression oder einer Suchterkrankung behandelt wurde? Es entsteht eine unvorstellbare Dystopie orwellschen Außmaßes. Den Menschen ist nicht bewusst, was diese Abschaffung der ärztlichen Schweigepflicht in Zukunft bedeuten wird.
Und dies ist auch der Grund, warum unsere Praxis nicht in die TI angeschlossen ist: wir halten die ärztliche Schweigepflicht für das höchste berufsethische Gut überhaupt als Arzt. Weil wir dieses uralte Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht preisgeben wollen, werden wir vom Gesetzgeber mit 2,5 Prozent Strafe auf den Jahresumsatz belegt. Dabei gibt es noch nicht mal eine Datenschutzfolgeabschätzung, was in der Datenschutzgrundverordnung explizit gefordert ist. Der Gesetzgeber weigert sich einfach, dies zu machen und wälzt die Verantwortung auf die Praxen ab. Daher wird man, wenn man an der TI teilnimmt, letztendlich dazu gezwungen, gegen geltendes Recht, nämlich die Datenschutzgrundverordnung, zu verstoßen. Dies ist nicht akzeptabel und genau dies ist, worüber sie die Bürger aufklären sollten.
Dr. Jochen Schneider, 97080 Würzburg