Es ist viel über die Wut der Lehrerinnen und Lehrer geschrieben worden, die sich gegen die Maßnahmen des Kultusministeriums richtet. Was dabei untergeht, ist aber ein anderer Aspekt, nämlich die Auswirkung auf die Schülerinnen und Schüler. Wie sieht denn der Schulalltag in Zeiten des Lehrermangels für die Kinder und Jugendlichen aus?
Die Förderlehrerin hält Klassenlehrerstunden. Der Förderunterricht für das Kind mit Lese-Rechtschreib-Störung oder einer Matheschwäche: entfällt. Der Sportlehrer und die Fachlehrerin halten fachfremde Stunden: Die Stunde, in der theorieschwache Kinder zeigen können, was in ihnen steckt: entfällt. Die Schulleitung vertritt einen Klassenlehrer. Der Gesprächstermin mit Eltern und Schüler zur Erziehungshilfe: entfällt. Der Lehrer für Deutsch als Zweitsprache muss in einer ganzen Klasse vertreten. Der Deutschunterricht für Kinder, die unsere dringend benötigten Fachkräfte sein könnten, wenn sie gut deutsch sprächen: entfällt. Die Kollegin vom Mobilen Sonderpädagogischen Dienst springt in einer Klasse ein. Die Förderstunde für das lernbehinderte Kind: entfällt. Der Kollege lässt seine Inklusionsstunde ausfallen, weil er zur Vertretung eingeteilt ist. Das geistig oder körperlich behinderte Kind sitzt in der Klasse und kommt nicht mit, weil die Inklusionsstunde: entfällt. Der Unterricht am Nachmittag, in dem Hausaufgaben besprochen und erklärt werden und noch einmal geübt werden kann: entfällt.
Beispiele gibt es zuhauf. Sie haben aber eines gemeinsam. Sie werden auf dem Rücken derjenigen ausgetragen, die in unserem Schulsystem bereits jetzt schon benachteiligt sind, den Kindern aus Familien, in denen keiner helfen kann, weil die Eltern mit dem Unterrichtsstoff nicht vertraut sind; den Kindern, deren Vater als Fernfahrer tagelang nicht zu Hause und die Mutter mit zwei Jobs und dem Haushalt erschöpft ist; denen aus einkommensschwachen Familien, die sich keine Nachhilfe leisten können, weil bereits die Miete das Geld frisst.
Wir Lehrer sind sauer über die Mehrarbeit, aber wir sind stinkwütend über die soziale Ungerechtigkeit, die mit dem Lehrermangel weiter angefacht wird. Die ist nämlich weder sozial, noch christlich, noch freiheitlich und demokratisch. Die ist verantwortungslos und der eigentliche Skandal.
Bettina Kaisinger, 97209 Veitshöchheim