Was sich am 6. Januar 2021 vor und im Kapitol von Washington ereignete, hat zweifellos historische Ausmaße, weil es beispiellos demokratiefeindlich war und ist. Trump trägt dafür maßgeblich die Verantwortung, weil er wenige Stunden vorher seine Anhänger dazu angestachelt und damit Volksverhetzung betrieben hat. Deshalb muss er für diesen Aufruhr von der amerikanischen Justiz im Nachhinein zur Rechenschaft gezogen und ggf. verurteilt werden. Der viel größere Schaden den Trump angerichtet hat und für den er leider nicht juristisch verfolgt werden kann ist jedoch: In nur vier Jahren hat er es geschafft den jahrzehntelangen Führungsanspruch der USA innerhalb der westlichen Demokratien in Zweifel zu ziehen, mit unabsehbaren Auswirkungen vermutlich auf lange Zeit. Gleichwohl ist Trump nicht die eigentliche Ursache für die Stürmung des Kapitols. Er und damit auch seine Persönlichkeitsstruktur sind vielmehr das plausible Produkt eines jahrzehntelangen Prozesses, den es nicht nur in den USA gibt. Neben Trumps Schuld an dem Aufruhr gilt es die Ursachen und die Wirkungen dieses Prozesses zu analysieren.
Die Ursache für diese abscheulichen und demokratiefeindlichen Ereignisse liegt nicht in einer Systemschwäche der Demokratie, wie man uns aus Teheran glauben machen will. Nein, die Ursache ist eher in der Systematik eines unbändigen, globalen, marktradikalen Kapitalismus zu finden, für den Trump als Unternehmer und Politiker u. a. exemplarisch steht. Einem Kapitalismus in dem die Ellenbogen und die starken Schultern den Verfechtern einer solidarischen Gesellschaft immer wieder den Mittelfinger zeigen und wo sensible, schwache und abhängig beschäftigte Menschen schnell mal auf der Strecke bleiben und sich dann ausgegrenzt und abgehängt fühlen. Die jahrzehntelange Verlagerung von Arbeitsplätzen in immer neue Billiglohnländer mit der Ausbeutung von Arbeitskräften bis hin zur Kinderarbeit führt uns zu den Ursachen des Prozesses der am Kapitol in Washington eine Eruption erfuhr und der wenige Monate davor am Berliner Reichstag bereits mit einem Warnzeichen aufwartete.
Alle Demokraten weltweit sind gefordert, der Marktradikalität des Kapitalismus Grenzen zu setzen, in dem wir uns auf die bekannten und erprobten Thesen und Wirkungen von sozialer Marktwirtschaft in solidarischen Gesellschaften besinnen. So kann es über einen mehrjährigen Prozess gelingen, Menschen die sich enttäuscht, ausgegrenzt und abgehängt fühlen wieder in die Gesellschaften einzubinden und sie für die Idee der Demokratie zu gewinnen. Die Demokratie kann durchaus, bei genügend aufrechten und engagierten Demokratinnen und Demokraten, als regulierendes Korrektiv gegenüber einem radikalen Kapitalismus wirken!
Wenn dies gelingt haben wir übrigens deutlich bessere Chancen weiteren globalen Herausforderungen noch wirksam zu begegnen, oder uns ihnen zumindest anzupassen: Zum Beispiel dem unbestreitbaren und fortschreitendem Klimawandel. Aber auch die Corona-Pandemie lässt sich nicht mit nationaler Marktradikalität, sondern nur mit weltweit solidarischem Handeln dauerhaft unter Kontrolle bringen.
Gerhard Hartmann, 97234 Reichenberg