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Auch ein juristischer Fall
Zum Gastbeitrag "Zur Wissenschaft gehört Redlichkeit" (16.2.) von Norbert Richard Wolf über Annette Schavan:
Redaktion
 |  aktualisiert: 22.02.2013 19:53 Uhr
Obwohl den zentralen Aussagen des Gastbeitrags beizupflichten ist, kann doch die Aussage nicht stehen bleiben, der „Fall Schavan“ sei ein „wissenschaftlicher und kein juristischer Fall“ mit der Folge, dass hier „viel mehr mit wissenschaftlichen als mit juristischen Kriterien“ zu arbeiten sei. Demgegenüber gilt Folgendes:
1. Die Promotion, d. h. die Verleihung des Doktortitels durch Übergabe der Promotionsurkunde durch die zuständigen Fakultätsorgane ist ein begünstigender Verwaltungsakt. Sind in der jeweiligen Promotionsordnung oder im Landeshochschulrecht keine Maßgaben enthalten, wie zu verfahren ist, wenn sich nach erfolgter Promotion herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Verleihung des Doktortitels nicht gegeben waren, so ist auf die allgemeinen Grundsätze der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder zurückzugreifen (die mit den Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes sowie untereinander inhaltlich übereinstimmen).
2. Für die Rücknahme begünstigender rechtswidriger Verwaltungsakte, die keine Geld- oder Sachleistungen betreffen oder hierfür Voraussetzung sind (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG) gilt der Grundsatz, dass die Rücknahme im Ermessen der zuständigen Behörde, d. h. der Fakultät, liegt (§ 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, Abs. 1 S. 1 BVwVfG), wobei der in § 48 Abs. 2 S. 2, S. 3 Nrn. 1 bis 3 VwVfG geregelte Vertrauensschutz nicht zum Ansatz kommt, d. h. die Entscheidung über die Rücknahme an keine weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen als die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts geknüpft ist.
3. Die Beurteilung der Frage, ob es sich um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt, also die Voraussetzungen für die Verleihung des Doktortitels von Anfang an nicht gegeben waren, richtet sich zunächst nicht nach juristischen, sondern nach wissenschaftlichen Kriterien, d. h. im Wesentlichen danach, ob nach dem allgemein verbindlichen methodischen Regelwerk gegen das Zitiergebot nachweislich und nicht nur in Einzelfällen verstoßen wurde unterliegt. Welche Kriterien heranzuziehen sind, um von einer bewussten Täuschung auszugehen, wiederum einer juristischen Bewertung. In diesem Zusammenhang sind unterschiedliche Fallgestaltungen zu unterscheiden:
- regelmäßig sehen die Promotionsordnungen der Fakultäten vor, dass der Promovend eine schriftliche Erklärung mit dem Inhalt abzugeben hat, seine Dissertation selbstständig und nur unter Verwendung der im Quellen-/Literaturverzeichnis angegebenen Literatur erstellt zu haben. Ergeben sich durch nachträgliche Feststellungen augenfällige und gehäufte Übereinstimmungen mit Passagen aus Werken von Drittautoren, die nicht im Literaturverzeichnis als verwendete Hilfsmittel aufgeführt sind oder aber wurden gehäuft Passagen übernommen, ohne sie als Zitat zu kennzeichnen, so liegt ein juristisch relevanter Verstoß gegen allgemein anerkannte Regeln wissenschaftlichen Arbeitens mit der Folge vor, dass die Voraussetzungen für die Verleihung des Doktorgrades bereits von Anfang an nicht vorgelegen haben;
- hat der Promovend darüber hinaus eine eidesstattliche Versicherung dahingehend abgegeben, die Dissertation selbstständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt zu haben, so ist darüber hinaus der in manchen Promotionsordnungen oder aber Landeshochschulgesetzen verwendete Terminus der „Unwürdigkeit“ deshalb gegeben, weil ein s. g. Wissenschaftsbezug im Hinblick auf die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt und damit einer Straftat gegeben ist (§§ 156, 163 Abs. 1 StGB). Hierbei handelt es sich um eine in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit einhellig vertretene Position (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.03.1981, IX 1496/79; Urteil vom 14.09.2011, 9 S 2667/10; VG Freiburg, Urteil vom 22.09.2010, 1 K 2248/09; VG Köln, Urteil vom 27.10.2011, 6 K 3445/10);
- generell ist eine Täuschung mit der Konsequenz der ursprünglichen Rechtswidrigkeit der erfolgten Verleihung des Doktorgrades dann gegeben, wenn das wissenschaftliche Zitiergebot nicht nur marginal, sondern in erheblichem Umfang verletzt ist; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn große Teile der Gliederung einer Dissertation in Struktur und Inhalt mit dem Inhaltsverzeichnis einer Drittarbeit übereinstimmen und sich im Text der Dissertation weitgehende textliche Übereinstimmungen bzw. teilweise wortgleiche Passagen ohne entsprechende Kenntlichmachung finden (vgl. VG Berlin, Urteil vom 25.06.2009, 3 A 319.05). Die in diesen Fällen objektiv vorliegende Täuschung ist in aller Regel auch in subjektiver Hinsicht im Wege des bedingten Vorsatzes erfolgt, wofür ausreichend ist, dass der Promovend billigend in Kauf nimmt, dass Promotionskommission über Urheberschaft wesentlicher Teile der Dissertation dadurch getäuscht werden, dass nicht offen gelegt wird, dass und in welchem Umfang sich der Promovend geistiger Erkenntnisse Dritter bedient hat. In diesem Falle handelt es sich nicht lediglich um fahrlässig erfolgte, durch „schlampiges Arbeiten“ bedingte „Flüchtigkeitsfehler“.
4. Zutreffend wird durch Prof. Wolf darauf hingewiesen, dass eine „Verjährung“ in diesem Zusammenhange nicht relevant ist. Ausschlaggebend ist lediglich die in Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG normierte Jahresfrist, die zu laufen beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem die zuständige Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts recht-fertigen. Fazit: Jedenfalls in diesem Zusammenhang kann keine Rede davon sein, das „menschliche Leben und Zusammenleben ... [sei] zu vielfältig, um alle Bereiche einer juristischen Regelung und Ordnung zu unterwerfen. Dieser Bereich ist jedenfalls – seit langem – durch die Rechtsprechung geklärt.“
Dr. Jochen Hofmann-Hoeppel, 97204 Würzburg
 
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