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LESERANWALT
Wenn ein Likör von öffentlichem Interesse ist
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:20 Uhr
  • Journalistische Leitlinien der Mediengruppe Main-Post
Hier zum Thema Schleichwerbung.
Zeitungen, ob gedruckt oder digital, sehen sich gelegentlich dem Vorwurf der Schleichwerbung ausgesetzt. Der Trennungsgrundsatz schreibt vor, dass unabhängige redaktionelle Inhalte für Leser erkennbar von Werbung getrennt sein müssen. Darauf wird ganz besonders geachtet, wenn es um Unternehmen geht, die mit Produkten im regionalen Wettbewerb stehen


Die Kreation der Chemikerin

Eine aufschlussreiche Entscheidung, die lokales Wirtschaftsgeschehen betrifft, hat nun der Deutsche Presserat getroffen. Ich habe sie dem Newsletter des ABZV (Akademie Berufliche Bilder der deutschen Zeitungsverlage) entnommen:

Eine Chemikerin kreiert einen neuen Likör und will ihn vermarkten. Die Regionalzeitung berichtet über die Frau, ihre Idee und deren Umsetzung. Lokale in der Stadt werden genannt, in der das neue Getränk ausgeschenkt wird und ein Geschäft, in dem man es kaufen kann.


Die Beschwerde eines Lesers

Ein Leser beschwert sich beim Presserat. Er sieht darin Schleichwerbung für das Getränk. Der Chefredakteur der Zeitung teilt in seiner Stellungnahme dazu mit, dass es auch ein Leser gewesen ist, der die Redaktion auf die Chemikerin aufmerksam gemacht hat. Der lokale Bezug habe dafür gesprochen, über die Entstehung des Liköres zu schreiben. Da es nach vergleichbaren Veröffentlichungen oft zu Leseranfragen gekommen sei, habe die Redaktion die Bezugsquellen für das Getränk gleich genannt.

 

Öffentliches Interesse

Nach Ansicht des Presserates hat die Zeitung das Trennungsgebot nicht verletzt und auch nicht die in Richtlinie 7.2 des Pressekodex definierte Grenze zur Schleichwerbung überschritten. Die Berichterstattung über ein Produkt, das von Menschen vor Ort entwickelt wurde, sei von öffentlichem Interesse. Hinweise auf die Lokale, in denen es das Getränk gibt, sowie auf den Laden, in dem es zu kaufen ist, seien als Leserservice zu werten. Die Beschwerde hat der Presserat folglich für unbegründet erachtet.
 

Grenze zur Schleichwerbung

In der Richtlinie 7.2 des Pressekodex steht zur Schleichwerbung wörtlich:

„Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten. Eine Überschreitung liegt insbesondere nahe, wenn die Veröffentlichung über ein begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der Leser hinausgeht oder von dritter Seite bezahlt bzw. durch geldwerte Vorteile belohnt wird.“

Ich füge hinzu, mit dem Likör wurde über eine Neuheit, sozusagen eine Innovation berichtet. Das rechtfertigt redaktionelle Beiträge über Produkte aus dem Wirtschaftsleben in vielen Fällen. Im Archiv des Presserates finden sich viele weitere Entscheidungen zum Trennungsgrundsatz.
Auch in den journalistischen Leitlinien für die Main-Post Redaktionen ist der Trennungsgrundsatz festgeschrieben und unter Ziffer 8 erläutert.

Anton Sahlender, Leseranwalt
 
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