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Presserat ist kein „zahnloser Tiger“
Als Leseranwalt dieser Zeitung habe ich die Sprecherin des Deutschen Presserates, Ursula Ernst, zu einem Hintergrundgespräch in die Redaktion eingeladen. Es war mir ein Anliegen, mich mit ihr über die Beschwerden von Lesern und über die Aufgaben des Presserates zu unterhalten.
Das Gespräch führte Leseranwalt Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 26.04.2023 18:09 Uhr
Frage: Wie wird man Presserätin?

Ursula Ernst: Man muss es wollen und sich bewerben. Dann wird man von seinem Verband gewählt. Sieben Mitglieder aus vier Trägerverbänden stellen die 28 Presseräte. Beim DJV-Verbandstag musste ich eine Bewerbungsrede halten.

Und wie wird man Sprecherin?

Ernst: Sprecherin kann man werden, wenn der eigene Trägerverband, in meinem Fall der Deutsche Journalistenverband DJV, an der Reihe ist, den Sprecher oder die Sprecherin für zwei Jahre zu stellen. Denn die vier Trägerverbände wechseln sich ab. Und dann wird man vom Plenum des Presserates mit 28 Vertreterinnen und Vertretern aus den Trägerverbänden gewählt.

Steht der Presserat noch als Bastion gegen politische Regulierungsversuche?

Ernst: Er garantiert noch die Selbstkontrolle der Printmedien und hält dadurch staatliche Kontrollen fern. Das war schon 1956 das entscheidende Argument für seine Gründung. Auch kurz nach dem Jahrtausendwechsel, beim Redaktionsdatenschutz, gab es Versuche, staatliche Kontrolle auszuüben. Nach heftigen Auseinandersetzungen blieb es auch hier bei der Selbstkontrolle der Presse und der Unabhängigkeit von staatlichen Einflüssen.

Wozu brauchen wir einen Presserat sonst noch? Wir haben doch Gesetze, die auch für Medien gelten.

Ernst: Dazu muss man sich den Kodex des Presserates und ethische Grundsätze vor Augen führen. Die gehen über Gesetze hinaus, etwa beim Wahrheitsgebot und der Sorgfaltspflicht. Und es geht dabei auch um sorgfältige Recherchen und die Grenzen der Recherche.

Nennen Sie Beispiele für Grenzen der Recherchen.

Ernst: Die liegen meist im Schutz personenbezogener Daten, die von Journalisten gesammelt und nicht veröffentlicht werden. Außerdem dürfen keine unlauteren Methoden angewandt werden. Journalisten können sich nicht an einer Klinikpforte als Angehörige ausgeben, um an Personen ranzukommen. Das gab es leider schon. Ich erinnere mich an den Fall mit einer Ministerin, als Journalisten mit Blümchen in der Hand an ihrem Krankenbett erschienen sind, um sie auszufragen und Fotos zu machen. Das darf man nicht.

Stoßen Sie in der Presserats-Praxis auf noch mehr Grenzen, wo Gesetze nicht ausreichen, wo der Kodex des Presserats gebraucht wird?

Ernst: Vor allem bei der Notwendigkeit klarer Trennung von Werbung und Redaktion. Aber auch in der Medizinberichterstattung, wo keine unberechtigten Hoffnungen geweckt werden dürfen. Ich erinnere mich an ein Nachrichtenmagazin, das sich mit einer grünen Aids-Schleife verkauft hat nach dem Motto „Jetzt ist Aids heilbar, es gibt ein Medikament“. Das war zu dem Zeitpunkt falsch, ethisch nicht hinnehmbar und ein Verstoß gegen den Pressekodex.

Ist dem Journalismus in den letzten Jahren ein Stück Ethik verloren gegangen?

Ernst: Nein. Wir wissen zwar, dass Redaktionen extrem unter Zeitdruck arbeiten. Das führt häufig zu klassischen Sorgfaltspflichtverletzungen, etwa Schlampereien. Andererseits sind Journalisten aber deutlich besser ausgebildet als früher. So gibt es aus Sicht des Presserates keine Verschlechterung.

Hat die Freiheit des Internets, wo Respektlosigkeiten an der Tagesordnung sind, nicht doch auch auf den Journalismus durchgeschlagen?

Ernst: Der Presserat ist nur zuständig für journalistisch gemachte Online-Portale von Print-Medien. Da treten aber die gleichen Verfehlungen auf wie in den gedruckten Medien, also durch Verletzungen von Persönlichkeitsrechten und bei der Sorgfalt. Ich meine nicht, dass die Journalisten im Netz respektloser sind. Sie sind verantwortungsbewusst, weil sie auch dort von sehr vielen Menschen kritisch gelesen und genutzt werden.

Welche Rolle spielt die Ethik für den Journalismus?

Ernst: Sie ist absolut ein Qualitätsfaktor. Guter Journalismus hebt sich dadurch ab von der Masse der Verfehlungen im Internet, in Blogs und auch in sozialen Netzwerken. Journalisten halten sich an ethische Regeln.

Mit dieser Aussage werden Sie Proteste bei vielen Bloggern auslösen.

Ernst: Ja, die kritisieren den Presserat gerne. Natürlich nehme ich journalistisch gut gemachte Blogs, die es zweifellos gibt, davon aus. Das Gros freilich blubbert.

„Die Main-Post musste noch nie gerügt werden.“

Ursula Ernst, Sprecherin des Deutschen Presserats

Werden die Sanktionen, die der Presserat aussprechen kann – von einfachen Hinweisen über Missbilligungen bis zur Rüge – ernst genommen? Sind sie wirksam?

Ernst: Ich weiß. Gerne wird vom „zahnlosen Tiger“ gesprochen. Wir sehen aber, dass die Sanktionen wirken und betroffenen Medien nicht egal sind. Die meisten Redaktionen reagieren deshalb auf Beschwerden mit intensiven Erklärungen und Rechtfertigungen. Und die großen Häuser, etwa Springer, beschäftigen damit ganze Rechtsabteilungen. Selbst Rügen gegen die „Bild“-Zeitung setzen dort einen Apparat in Gang, um schlüssige Begründungen zu liefern. „Bild“nutzt das gelegentlich zu Veröffentlichungen, durchaus auch gegen den Presserat.

Wo sitzen die schlimmsten Sünder?

Ernst: Wenn ich mir die Rügen anschaue, sind das die Regional- und Lokalzeitungen, von denen es natürlich am meisten gibt. Sie haben zusammengenommen die höchsten Auflagen, erscheinen täglich und bieten dadurch viel Umfang. Dann folgen die Boulevardblätter. Deren Journalismus ist eben immer ein Grenzgang. Gut gemachter Boulevard muss sich auf Grenzen behaupten. Ach ja, die Main-Post musste noch nie gerügt werden.

Was empfehlen Sie einem Leser, der sich beim Presserat über ein Medium beschweren will? Auf was muss er achten?

Ernst: Es ist leicht, eine Beschwerde online zu gestalten. Auf www.presserat.de wird ein Formular angeboten. Klare Namensnennung wird erwartet, die Bezeichnung der Publikation, der Veröffentlichungstag, möglichst auch Artikelname und Seite. Optimal ist, wenn eine Verlinkung auf den Beitrag mitgegeben wird. Die Beschwerde sollte substanziell begründet sein. Das geht am besten entlang der Richtlinien des Kodex. Pure Beschimpfungen, wie „die schreiben nur Mist“ oder anonyme Schreiben werden nicht angenommen.

Welcher Fall ist Ihnen als besonders tiefgreifend in Erinnerung geblieben?

Ernst: Die schrecklichen Videos und schauerlichen Bilder von der Tötung Muammar al-Gaddafis, die zu journalistischen Onlinebeiträgen gehört haben. Dazu gab es viele Beschwerden. Es galt abzuwägen zwischen der Menschenwürde, die auch auf einen Diktator anwendbar ist, und der Bedeutung der Bilder im Zeitgeschehen. Nach leidenschaftlicher Diskussion wurde entschieden, dass diese Aufnahmen veröffentlicht werden durften, weil sie trotz ihrer Grausamkeit wesentliches Zeitgeschehen sichtbar gemacht haben und so als Dokumente der Zeitgeschichte gelten können.

Gibt es neben Beschwerden auch Lob für den Wert der Arbeit des Presserates?

Ernst: Kritik überwiegt. Wir stellen uns, sind mit Kritikern im Gespräch, denn der Presserat muss sich weiterentwickeln. Nicht mehr alles kann beurteilt werden wie vor 30 Jahren. Dennoch: Erfreulich war eine überaus positive Würdigung bei der 50-Jahrfeier des Presserates 2006 durch den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler.

So gebe ich Ihnen mit: Gut, dass es den Presserat gibt.

Ursula Ernst und der Deutsche Presserat

Sprecherin des Deutschen Presserates ist derzeit Ursula Ernst. Die 57-jährige Journalistin ist bereits seit 1995 Mitglied des Presserates. Schon 1999 war Ursula Ernst einmal dessen Sprecherin, überdies viele Jahre Vorsitzende von Beschwerdeausschüssen. Ursula Ernst ist Redakteurin in der Bayern-Redaktion der „Augsburger Allgemeine“. Sie begann nach dem Studium für Germanistik und Anglistik für das Lehramt in Würzburg ihre journalistische Laufbahn bei der Main-Post, bevor sie 1987 nach Augsburg wechselte. Der Deutsche Presserat ist eine Organisation der Freiwilligen Selbstkontrolle. Jede Person kann sich bei ihm über Zeitungen, Zeitschriften und über journalistisch-redaktionelle Beiträge aus dem Internet beschweren – sofern es sich nicht um Rundfunkbeiträge handelt.

Über die Beschwerden entscheiden Beschwerdeausschüsse. Bei Verstößen gegen den Kodex des Presserates, auf den sich die Printmedien verpflichtet haben, gibt es vier Sanktionsmöglichkeiten: 1. die öffentliche Rüge (mit Abdruckverpflichtung), 2. die nicht-öffentliche Rüge (auf Abdruck wird verzichtet, zum Beispiel aus Gründen des Opferschutzes), 3. die Missbilligung und 4. den Hinweis. Es bedarf keiner Sanktion, wenn das Presseorgan den Fall selbst in Ordnung gebracht hat (etwa durch den Abdruck eines Leserbriefes oder eine redaktionelle Richtigstellung). Der Presserat leistet außerdem Lobbyarbeit für die Pressefreiheit in Deutschland. Er will sich dabei für das Ansehen der deutschen Presse einsetzen und gegen Missstände im Pressewesen vorgehen. Getragen und finanziert wird der Presserat vom Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV), vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), vom ver.di Fachbereich für Medien, der Deutschen Journalistenunion (dju), und vom Deutschen Journalistenverband (DJV). Zur Finanzierung der Organisation trägt außerdem auch ein Bundeszuschuss bei.
TEXT: SAH

Der Presserat online: www.presserat.de

 
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    Ursula Ernst, früher einmal Kollegin in unserer Redaktion, hält Ethik für ein wesentliches journalistisches Qualitätsmerkmal.

    ...gerade die verschiedenen Auslegungen von Ethik und Moral würde niemals einen gemeinsamen Nenner ergeben. Die Hürden sind überall anders gelegt.
    Ausserdem verhindert jegliche zu stark angezogene Ethikauslegung eine objektive und realistische Berichterstattung. Diesbezüglich hatte die MP schon zig Beispiele geliefert.
    gerade auf der willkürlich ausgeübten Ethikregel ist der aufkommende Medienfaschismus begründet.
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