Ein Ehepaar beobachtet seit Wochen, dass es mit den Arbeiten am Appartementbau in seiner nächsten Nachbarschaft nicht so recht weitergeht. Es vermutet, dass dem Bauunternehmer das Geld ausgegangen ist und befürchtet, dass es künftig mit einer Bauruine vor dem Haus leben muss. Deshalb schreibt es eine E-Mail an die örtliche Zeitung. Sie ist als Leserbrief gedacht und als Denkanstoß für die weitere Berichterstattung.
Ein Redaktionsmitglied – es vertritt die in Urlaub weilende Autorin des Berichts – gibt die Mail an den betroffenen Bauunternehmer weiter. Er soll für die folgende Berichterstattung dazu Stellung nehmen.
Das Ehepaar beschwert sich darüber beim Presserat, denn laut Pressekodex dürfen Leserbriefe nicht an Dritte weitergegeben werden. Die Chefredaktion der Zeitung bestätigt die „weitergehende Recherche.“ Leider sei jedoch versäumt worden, die Absender zu schwärzen. Es handele sich um einen absoluten Ausnahmefall.
Im Übrigen – so die Chefredaktion – sei die E-Mail nicht als Leserbrief gekennzeichnet gewesen. Darauf habe auch der Inhalt nicht schließen lassen. Deshalb sei die Redaktion nur von einer Anregung für die weitere Berichterstattung ausgegangen. Die Veröffentlichung der Mail als Leserzuschrift sei auch unterblieben, weil sich die darin erhobenen Vorwürfe nicht bestätigt hätten.
Das Ehepaar habe auch nicht besonders darauf hingewiesen, dass es mit seiner Kritik an dem Bauunternehmer anonym bleiben wollte. Bei einer Veröffentlichung als Leserbrief mit den Namen wäre das ohnehin nicht der Fall gewesen. Trotz allem entschuldigt sich die Redaktion für ihren Fehler.
Die Beschwerde der Eheleute ist berechtigt. Der Presserat weist die Redaktion darauf hin, dass alle Leserbriefe, die ihr zugehen, dem Redaktionsgeheimnis unterliegen. Sie dürfen in keinem Fall an Dritte weitergegeben werden.
An diesen Grundsatz hat sich die Zeitung nicht gehalten. Der Weiterbau der Appartements hätte auch ohne Weiterleitung der E-Mail recherchiert werden können.
Selbst wenn die Mail als Leserbrief veröffentlicht worden wäre, wäre es unzulässig gewesen, neben dem Namen die Adresse zu veröffentlichen. Dabei handelt es sich um personenbezogene Daten, die von der Redaktion unbedingt zu schützen sind.
Das war die Wiedergabe einer Entscheidung des Deutschen Presserates, der freiwilligen Selbstkontrolle der Printmedien, aus dem Jahre 2010. Sie wird für Leserbriefschreiber von Interesse sein. Siehe www.presserat.de