Vielleicht trägt gerade heute zur Besinnung bei, was uns ein Leser aus Bad Kissingen geschrieben hat: „Ihre Seite 2 der Ausgabe vom 17.12. ist an Geschmacklosigkeit nicht zu übertreffen. Auf Seite 1 berichten Sie über ,Entsetzen nach Bluttat an US-Schule‘ und auf Seite 2 drucken Sie eine Karikatur ab, die diese Grausamkeit ins Lächerliche zieht.“
Tatsächlich hat sich eine Zeichnung auf der Meinungsseite satirisch zugespitzt mit Hintergründen der Bluttat auseinandergesetzt. Sie zeigt eine amerikanische Familie, Mutter, Vater und Kind, bewaffnet vor dem Fernseher, in dem über den Amoklauf berichtet wird. In der Zeichnung, als Waffennarr-Logik gekennzeichnet, sagt der Vater: „Entsetzlich! Wann begreifen die endlich, dass man seine Kinder nicht unbewaffnet in die Schule schicken kann?“
Der Bad Kissinger sieht darin eine Unverschämtheit den Lesern und in erster Linie den Opfern gegenüber. Das zeige wieder einmal deutlich, „dass nicht nur die Täter unserer Gesellschaft immer mehr verrohen, sondern auch diejenigen, die darüber berichten“.
Ich ergänze der Ordnung halber, dass sich auch der Leitartikler am 17.12., direkt neben der Zeichnung, kritisch mit dem US-Waffen-Lobbyismus auseinandersetzte. Es war zu lesen, dass Beten alleine nicht mehr reicht. Auf den Seiten 4 und 5 erschienen Korrespondentenberichte direkt aus Newtown mit Informationen darüber, dass in den USA mehr Waffen in Privatbesitz sind als in jedem anderen Land der Welt.
Respektieren muss die Redaktion dennoch, dass der Kritiker Zeitungsabonnement und Anzeigen gekündigt hat. Das Geld will er sozialen Einrichtungen spenden, wo es besser angelegt sei als in einer Zeitung, die sich auf so ein Niveau herablasse.
Zerstört die Wirkung einer Zeichnung die gesamte hautnahe Berichterstattung eines Tages? Ist Satire, gleich mit den ersten Nachrichten über ein so fürchterliches Massaker verbreitet, ethisch vertretbar? Ist die Botschaft aber eine andere, wenn die Zeichnung später erscheint, in pietätvollem Abstand zur Bluttat? Zumindest auf diese Frage antworte ich mit Ja. Etwas Warten wäre besser gewesen, weil das schreckliche Geschehen von Newtown doch vielen Menschen auch hier bei uns unter die Haut gegangen ist.
Niemand ist aber verroht, wenn er nicht ganz so empfindet wie der Kritiker. Denn auch Karikaturen tragen Meinung in sich, wollen Nachdenklichkeit erzeugen, die in diesem Falle einer waffenstarrenden Gesellschaft vorbeugen soll. Die Grausamkeit von Newtown sollte nicht ins Lächerliche gezogen werden. Es tut der Redaktion leid, wenn das noch mehr Leser anders empfunden haben.
Deshalb finde ich sie besonders treffend und eindringlich.
Zusammen mit dem danebenstehenden Artikel "Beten alleine reicht nicht mehr" regt gerade diese Zeichnung zum Nachdenken an.
Mich würde interessieren, wie gerade diese Karikatur beim amerikanischen Volk ankommt.
Gibt es darüber Erkenntnisse?
Mit den besten Wünschen und "Weiter so!" XXXXX
Leider kann ich mit Erkenntnissen aus den USA nicht dienen:
Anton Sahlender, Leseranwalt
Offenbar hat dieser Leser nicht auf die weiteren Nachrichten in den Medien geachtet. Da sagte einer der Vertreter der NRA (National Rifle Association) einen Satz, der nicht weit von der bitteren Aussage der Karikatur entfernt ist. Er sagte: " a bad guy with a weapon can only be stopped by a good guy with a weapon". Hinter einer solchen Aussage steht der Waffenwahn einer großen Gruppe von US-Amerikanern, in den sich bei uns niemand hineindenken kann. Hier liegt der Hase im Pfeffer! Hier liegt die Verrohung! ...."
Mit freundlichen Grüßen XXXX
Anton Sahlender, Leseranwalt
Die Karikatur ist weder makaber, noch dem schwarzen Humor verbunden, das sonderbare Gefühl das mancher empfinden mag, kommt nicht von der Karikaur, sondern vom schlichten Einsehen, daß die Karikatur keine Karikatur ist, sondern im Grunde eine genaue Wiedergabe der Haltung der Waffenlobby. Die zynische und kaltschnäuzige Art der Waffenlobby sollte man wirklich nicht der Karikatur als Verfehlung anlasten, sie kann nichts dafür, daß mancher in den USA so fragwürdig tickt. Sie zeigt es nur jedem Leser.
Hier prallen zwei Aspekte aufeinander: Erstens neigt die Gesellschaft zu ritueller Pietät, wenn es - wie in dem Fall des Massakers - ganz dicke kommt. Man erhöht sich selbst damit. - Dann kann es auch vorkommen - wie vor Jahren geschehen -, dass etwa ein gesunkenes Schiff mit hunderten Toten nicht gehoben wird, um die Totenruhe nicht zu stören - es könnte ja einer aufwachen.
Insofern zum Jahresende mein tiefempfundenes Mitgefühl für Redaktion und Leseranwalt, die im zeitgemäßen Meer des Irrtums ihre Segel so setzen müssen, dass sie sowohl über Wasser bleiben als auch eine Richtung einschlagen können. Das kann nicht einfach sein.
P.S. Sehr geehrter Herr Sahlender, welche Botschaft soll eigentlich in ihrem Hinweis stecken, dass es ein Bad Kissinger war? Vielleicht versteh' ich es nur nicht?
Anton Sahlender, Leseranwalt, derzeit in Spanien. Frohe Weihnachten.
Ansonsten zitiere ich mit einem weiteren Ch. Süß: Na dann......
Anton Sahlender, Leseranwalt
P.S.: Zwei Anmerkungen seien mir zum abschluss noch gestattet:
1. 'Undurchsichtig kann eine Sache - beachten Sie dazu bitte die - ggf. auch nur in den Augen dessen, der nicht durchsieht.
2. Gut für die Diskussion, dass Sie zwei zustimmende e-mails eingestellt haben, aber gabs da auch gegenteilige?