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LESERANWALT
Einem Interview fehlt der Interviewer
Knauf Artikel Überschrift       -  Die erklärende Einleitung des Interviews mit den Knauf-Gesellschaftern, so wie sie in der Zeitng erschienen ist.
| Die erklärende Einleitung des Interviews mit den Knauf-Gesellschaftern, so wie sie in der Zeitng erschienen ist.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 00:21 Uhr
Berichte aus der Wirtschaft sind unverzichtbar. Besonders aus Weltunternehmen, gerade wenn sie viele Arbeitsplätze in der Region bieten. Für Journalisten gilt dabei der Grundsatz, dass sie die Artikel nicht zum Marketing fürs Unternehmen werden lassen. Ein Leser aus dem Kitzinger Raum hatte aber den Eindruck gewonnen, dass genau das passiert ist. Und der Eindruck ist leider nachvollziehbar.

Wer hat die Fragen gestellt?
Und darum ging es ihm: Mit

"Knauf denkt auch an morgen",

war am 15. Oktober im Wirtschaftsteil ein sehr ausführliches Interview mit den beiden geschäftsführenden Gesellschaftern des Welt-Unternehmens überschrieben. Aber diesem Interview fehlte der Interviewer. Es stand nicht dabei, wie sonst üblich(Knauf-Beispiel aus 2005) , wer den Gesellschaftern die Fragen gestellt hat. Das monierte der Kritiker am Telefon, der deshalb Public-Relations (PR) dahinter vermutet. Ich habe zugegeben, dass man auf diesen Gedanken leicht kommen kann. Denn ein Medium sollte die Person nennen, die ein Interview geführt hat. Auch in einer Konferenz der Redaktion stieß die Veröffentlichung in dieser Form auf Ablehnung..

Knauf Interview - Übernahme erklärt       -  Erklärung der Redaktion. Die Übernahme des Interviews wird den Lesern angezeigt.
| Erklärung der Redaktion. Die Übernahme des Interviews wird den Lesern angezeigt.
Leser können selbst einordnen
Dem Wirtschaftsunternehmen selbst ist kaum etwas vorzuwerfen. Für die von ihm verantworteten Veröffentlichungen gilt diese journalistische Regel der Quellenklarheit so nicht. Also auch nicht für den Nachhaltigkeitsbericht der Knauf-Gruppe 2013/14, dem die zuständige Redaktion das Interview vom 15.10. (mit Genehmigung) entnommen hat. Sie hatte es als informativ und deshalb auch für Leser interessant bewertet. So kam es zur Verbreitung in der Zeitung. Weil die Knauf-Gruppe dabei als Quelle klar benannt wird, hielt sie den unüblichen Vorgang für angemessen. Grund: Leser können mit Wissen um den Absender den Inhalt selbst einordnen. Das gilt zweifellos auch für den Anrufer, der dabei zu einer kritischen Beurteilung gelangt ist. Anders dagegen die Schreiberin eines lobenden Leserbriefes für das Familienunternehmen. Überschrift: "Kluge Köpfe, klare Denker". Auch dessen Veröffentlichung ist kritikwürdig. Er könnte wie ein Signal wirken, PR in der Leserbriefspalte unterzubringen. .

Diese Interviewform ist ein Fehlgriff
Nicht nur weil Medien oft mit dem Vorwurf konfrontiert sind, sie würden Unternehmens-PR (Öffentlichkeitsarbeit) ungeprüft verbreiten, halte ich die direkt aus dem Unternehmen übernommene Interviewform für einen journalistischen Fehlgriff. Das sieht auch die Redaktion so. Das wurde inzwischen in einem Kritikgespräch deutlich. Es könnte der Eindruck entstehen, dass tatsächlich Mitteilungen aus Wirtschaftsbetrieben ungeprüft veröffentlicht würden. Dem ist aber nicht so. Speziell im vorliegenden Fall war man bei der Interviewform zunächst einfach mal davon ausgegangen, dass auch Vertreter der Redaktion von den Gesellschaftern keine anderen Antworten bekommen hätten als die vorliegenden. Ob sie andere Fragen hätten stellen müssen oder Nachfragen nötig gewesen wäre, das kann jeder Leser leicht selbst beurteilen.
Insgesamt gibt es wohl den Trend, dass sich Unternehmen in Pressemitteilungen zunehmend dieser Darstellungsform bedienen. Und es wäre kein gutes Zeichen für den Journalismus, wenn sie damit den Erfolg hätten, wie im vorliegenden Beitrag.

Es geht um Sorgfalt
Einen Satz im Kodex des Deutschen Presserates (bei Richtlinie 7.2) muss man sich freilich in diesem Zusammenhang vor Augen halten:

“Die Glaubwürdigkeit der Presse als Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material.“

Knauf Unternehmenserklärung       -  Die in der Zeitung erschienene Erklärung zur Knauf-Gruppe
| Die in der Zeitung erschienene Erklärung zur Knauf-Gruppe
Wie war es hier mit der Sorgfalt? Die verantwortliche Redaktion ging davon aus, dass sie mit den klaren Verweisen auf die Herkunft des Interviews und auf das Unternehmen der Sorgfalt Genüge getan hätte. Außerdem entnehme man den Interview eine Menge Informationen. PR sei darin nicht zu erkennen. Mag sein: Aber ich meine, um in diesem sensiblen Bereich jeden Verdacht auszuschließen, wäre es richtig gewesen, zumindest mit einer Beurteilung des Inhalts die journalistische Prüfung sehr viel deutlicher werden zu lassen.

Mittlerweile hat die zuständige Redaktion mitgeteilt, dass diese direkte Übernahme eines Interviews aus einem Unternehmen eine Ausnahme bleiben und nicht mehr vorkommen soll.
Ich meine, das war notwendig!
Anton Sahlender, Leseranwalt
 
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