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LESERANWALT
Die nach einem Suizid gebotene Zurückhaltung aufgegeben
Weiterverbreitet
Foto: Anton Sahlender
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 03:26 Uhr
Über die Notwendigkeit der Veröffentlichung des Berichtes  "Walter Kohl greift Merkel an"/"Anteil am Tod meiner Mutter" , erschienen unter diesen Überschriften in der Zeitung am Donnerstag, 23. Februar 2017, kann man geteilter Meinung sein. Zu lesen war, dass der Kohl-Sohn der Bundeskanzlerin eine erhebliche Mitschuld am Suizid seiner Mutter vorwirft, weil sie seinen Vater nach der CDU-Spendenaffäre scharf kritisiert hatte.

Walter Kohl greift Merkel an. Zeitung im Februar 2017       -  Dieser Bericht erschien am 23. Februar 2017 in der Main-Post. Die Frage stellt sich: Muss ein solcher Vorwurf in einem journalistischen Medium weiter verbreitet werden?
| Dieser Bericht erschien am 23. Februar 2017 in der Main-Post. Die Frage stellt sich: Muss ein solcher Vorwurf in einem journalistischen Medium weiter verbreitet werden?



 

Muss das weiter verbreitet werden?

Mit der politischen Dimension des Vorwurfs beschäftige ich mich nicht. Und was Walter Kohl über den tragischen Tod seiner Mutter sagt, ist seine persönliche Sache. Als Leseranwalt frage ich aber, sollte ein so schwerer, nicht belegbarer Vorwurf gegen eine andere Person, die sich dagegen kaum zur Wehr setzen kann, in einem journalistischen Medium weiter verbreitet werden?
 

Interview im ZEIT-Magazin

Walter Kohl, besonders bekannt geworden als Buch-Autor, war vom ZEIT-Magazin interviewt worden. Dessen Redaktion hat das Gespräch mit ihm 15 Jahre nach dem Tod von Hannelore Kohl geführt. Dann diese (überraschende?) Aussage ... Hier die Veröffentlichung auf ZEIT-Online
 

Berichte waren damals unvermeidlich

Der Suizid von Hannelore Kohl war bekannt. Berichte darüber waren damals erschienen und nicht unter die Auslegungspraxis des Pressekodex gefallen. Auch weil Nachahmungstaten befürchtet werden, gebietet der bei Selbsttötung "Zurückhaltung". Das heißt, meist wird über solche Todesumstände nicht berichtet. Unvermeidlich sind aber Berichte, wenn öffentliche Aufmerksamkeit dabei erregt worden ist oder es sich um sehr bekannte Persönlichkeiten gehandelt hat. Letzteres galt für Hannelore Kohl. Aber auch bei dieser Berichterstattung über den tragischen Tod einer prominenten Person galt es Zurückhaltung zu wahren. Dazu gehört es, keine Spekulationen zu verbreiten.
 

Wie bedeutend ist Walter Kohl?

Mag sein, dass sich das ZEIT-Magazin viele Jahre später verpflichtet gesehen hat, den Vorwurf als eine Aussage, die dem Interviewpartner wichtig ist, nicht wegzulassen. Oder die Redaktion hält Walter Kohl selbst für so bedeutend, dass ein solcher Vorwurf von ihm, der schwer auf ihn selbst zurückfällt, von überwiegendem öffentlichem Interesse ist und deshalb verbreitet werden muss. Ist der Mann als Buch-Autor und Sohn eines Ex-Kanzlers aber wirklich so bedeutend? Denn auf seine Bedeutung setzen wohl auch die Redaktionen, welche die diskussionswürdige Kohl-Aussage aus der ZEIT ebenfalls weiter verbreitet haben.
 

Die Abwägung

Ich halte das Weiterverbreiten des Vorwurfs jedenfalls für keine gute Entscheidung. Denn er ist ehrverletzend und ethisch nicht vertretbar, selbst wenn er sich gegen politisches Handeln einer Frau richtet, die heute Kanzlerin ist. Weil ihm keinerlei Beweiskraft für das zukommt, was er unterstellt, bleibt er auch zeitgeschichtlich bedeutungslos.
Die aktuelle Kanzlerin oder überhaupt eine Person öffentlich mit einem Suizid zu belasten, bricht zudem ein Tabu und gibt journalistisch gebotene Zurückhaltung auf. Posthum kann man nun sogar das Andenken an Hannelore Kohl verletzt sehen. Sie wird herabgewürdigt zum Objekt eines unhaltbaren Vorwurfs. Eine Abwägung dieser Gründe mit der Bedeutung von Walter Kohl und seiner Aussage sollte deshalb in einem journalistischen Medium gegen deren Veröffentlichung ausfallen.
Es ist nicht gut, wenn im Journalismus ein Präzedenzfall für vergleichbare Unterstellungen vorgegeben wird. Die Zurückhaltung, die der Pressekodex nach einem Suizid (Richtlinie 8.7) gebietet, muss fortwirken. Das war hier nicht der Fall.

Anton Sahlender, Leseranwalt
 
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  • Anton.Sahlender@mainpost.de
    ... einen solchen Vorwurf eines Herrn Müller gegen eine Frau Schulze würde wohl kein Medium verbreiten. Ich halte den Vorwurf von Kohl jun. für einen sehr persönlichen viele Jahre nach einem Suizid. Ich mag ihn nicht bewerten. Und Walter Kohl ist politisch ohne Relvanz, ist politisch gleichsam ein Herr Müller. Deshalb würde meine Entscheidung wohl gegen eine Veröffentllichung fallen, die jede Zurückhaltung aufgibt.
    Anton Sahlender, Leseranwalt
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  • R.Silber
    die Frage ist doch, würden Sie auch darüber schreiben, wenn ein Herr Müller aus X diesen Vorwurf gegenüber Frau Schulze aus Y erheben würde? Natürlich nicht, es dreht sich um Personen des öffentlichen Lebens. Aber diesen Vorwurf des Herrn Kohl jun. nackt im Raum stehen zu lassen ohne dabei den politischen Hintergrund zu beleuchten, halte ich für schwierig, da die Behauptung als solches wertlos erscheinen mag. Eine moralische Wertung vorzunehmen ist wiederrum schwierig, da wir nur die Darstellung des Herrn Kohl jun. kennen; letztlich taugt eine solche Darstellung wohl eher für die Boulevardpresse.
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  • al-holler@t-online.de
    ja genau, es ist halt alles immer eine Frage nach der Qualität eines Mediums
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