LESERANWALT
Die nach einem Suizid gebotene Zurückhaltung aufgegeben
Über die Notwendigkeit der Veröffentlichung des Berichtes
Die aktuelle Kanzlerin oder überhaupt eine Person öffentlich mit einem Suizid zu belasten, bricht zudem ein Tabu und gibt journalistisch gebotene Zurückhaltung auf. Posthum kann man nun sogar das Andenken an Hannelore Kohl verletzt sehen. Sie wird herabgewürdigt zum Objekt eines unhaltbaren Vorwurfs. Eine Abwägung dieser Gründe mit der Bedeutung von Walter Kohl und seiner Aussage sollte deshalb in einem journalistischen Medium gegen deren Veröffentlichung ausfallen.
Es ist nicht gut, wenn im Journalismus ein Präzedenzfall für vergleichbare Unterstellungen vorgegeben wird. Die Zurückhaltung, die der Pressekodex nach einem Suizid (Richtlinie 8.7) gebietet, muss fortwirken. Das war hier nicht der Fall.
Anton Sahlender, Leseranwalt
"Walter Kohl greift Merkel an"/"Anteil am Tod meiner Mutter" , erschienen unter diesen Überschriften in der Zeitung am Donnerstag, 23. Februar 2017, kann man geteilter Meinung sein. Zu lesen war, dass der Kohl-Sohn der Bundeskanzlerin eine erhebliche Mitschuld am Suizid seiner Mutter vorwirft, weil sie seinen Vater nach der CDU-Spendenaffäre scharf kritisiert hatte.Muss das weiter verbreitet werden?
Mit der politischen Dimension des Vorwurfs beschäftige ich mich nicht. Und was Walter Kohl über den tragischen Tod seiner Mutter sagt, ist seine persönliche Sache. Als Leseranwalt frage ich aber, sollte ein so schwerer, nicht belegbarer Vorwurf gegen eine andere Person, die sich dagegen kaum zur Wehr setzen kann, in einem journalistischen Medium weiter verbreitet werden?Interview im ZEIT-Magazin
Walter Kohl, besonders bekannt geworden als Buch-Autor, war vom ZEIT-Magazin interviewt worden. Dessen Redaktion hat das Gespräch mit ihm 15 Jahre nach dem Tod von Hannelore Kohl geführt. Dann diese (überraschende?) Aussage ... Hier die Veröffentlichung auf ZEIT-OnlineBerichte waren damals unvermeidlich
Der Suizid von Hannelore Kohl war bekannt. Berichte darüber waren damals erschienen und nicht unter die Auslegungspraxis des Pressekodex gefallen. Auch weil Nachahmungstaten befürchtet werden, gebietet der bei Selbsttötung "Zurückhaltung". Das heißt, meist wird über solche Todesumstände nicht berichtet. Unvermeidlich sind aber Berichte, wenn öffentliche Aufmerksamkeit dabei erregt worden ist oder es sich um sehr bekannte Persönlichkeiten gehandelt hat. Letzteres galt für Hannelore Kohl. Aber auch bei dieser Berichterstattung über den tragischen Tod einer prominenten Person galt es Zurückhaltung zu wahren. Dazu gehört es, keine Spekulationen zu verbreiten.Wie bedeutend ist Walter Kohl?
Mag sein, dass sich das ZEIT-Magazin viele Jahre später verpflichtet gesehen hat, den Vorwurf als eine Aussage, die dem Interviewpartner wichtig ist, nicht wegzulassen. Oder die Redaktion hält Walter Kohl selbst für so bedeutend, dass ein solcher Vorwurf von ihm, der schwer auf ihn selbst zurückfällt, von überwiegendem öffentlichem Interesse ist und deshalb verbreitet werden muss. Ist der Mann als Buch-Autor und Sohn eines Ex-Kanzlers aber wirklich so bedeutend? Denn auf seine Bedeutung setzen wohl auch die Redaktionen, welche die diskussionswürdige Kohl-Aussage aus der ZEIT ebenfalls weiter verbreitet haben.Die Abwägung
Ich halte das Weiterverbreiten des Vorwurfs jedenfalls für keine gute Entscheidung. Denn er ist ehrverletzend und ethisch nicht vertretbar, selbst wenn er sich gegen politisches Handeln einer Frau richtet, die heute Kanzlerin ist. Weil ihm keinerlei Beweiskraft für das zukommt, was er unterstellt, bleibt er auch zeitgeschichtlich bedeutungslos.Die aktuelle Kanzlerin oder überhaupt eine Person öffentlich mit einem Suizid zu belasten, bricht zudem ein Tabu und gibt journalistisch gebotene Zurückhaltung auf. Posthum kann man nun sogar das Andenken an Hannelore Kohl verletzt sehen. Sie wird herabgewürdigt zum Objekt eines unhaltbaren Vorwurfs. Eine Abwägung dieser Gründe mit der Bedeutung von Walter Kohl und seiner Aussage sollte deshalb in einem journalistischen Medium gegen deren Veröffentlichung ausfallen.
Es ist nicht gut, wenn im Journalismus ein Präzedenzfall für vergleichbare Unterstellungen vorgegeben wird. Die Zurückhaltung, die der Pressekodex nach einem Suizid (Richtlinie 8.7) gebietet, muss fortwirken. Das war hier nicht der Fall.
Anton Sahlender, Leseranwalt
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