Der journalistische Umgang mit dem schrecklichen Amoklauf von Winnenden war nicht in allen Fällen unumstritten. Einige Male wurden Grenzen überschritten. Das hatte ein Nachspiel beim Deutschen Presserat. Ich beziehe mich heute auf drei Entscheidungen zu insgesamt 47 Beschwerden. Schließlich geht es um ethische Grundlagen, denen sich Redaktionen verpflichtet haben und an denen sie sich messen lassen müssen.
Seine stärkste Sanktion, die Rüge, die in der Regel vom davon betroffenen Medium veröffentlicht werden muss, verhängte der Presserat dreimal – einmal nicht öffentlich, um nicht durch neuerliche Verbreitung ein weiteres Mal Persönlichkeitsrechte zu verletzen.
Diese sogenannte nicht öffentliche Rüge traf „Bild“-Online, das unter der Überschrift „Diese jungen Leben hat er ausgelöscht“ Vor- und Nachnamen mehrerer Opfer nannte. Das verletzt die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und Hinterbliebenen. Die Opfer seien dadurch auch im erweiterten Umfeld erkennbar dargestellt. Die Richtlinie 8.1 des Pressekodex fordert nämlich:
„Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. Mit Rücksicht auf ihre Zukunft genießen Kinder und Jugendliche einen besonderen Schutz. Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen. Sensationsbedürfnisse allein können ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht begründen.“
Öffentlich gerügt wird die „Bild“-Zeitung für ein ganzseitiges Bild vom Amokläufer mit gezogener Waffe in einem Kampfanzug. Es war eine Fotomontage, die den Täter in Heldenpose darstellte. Dazu kam die Überschrift „ Seid ihr immer noch nicht tot?“ „Unangemessen sensationell“, urteilt darüber der Presserat. Das sagt er gleichermaßen zu einer Grafik, die eine Situation in einem Klassenzimmer wiedergeben soll: Der Amokläufer – wieder als Fotomontage im Kampfanzug – erschießt eine Lehrerin. Zu sehen ist das Nach-Hinten-Überkippen der Frau. Das hält der Presserat mit Blick auf die Hinterbliebenen für unangemessen sensationell – wegen der Darstellung von Gewalt, Leid und Brutalität.
Weil diese Grafik noch in der Online-Ausgabe der Zeitung erschien, trug ihr das ebenfalls eine öffentliche Rüge ein. Relevant ist hier die Richtlinie 11.1:
„Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird. Die ist insbesondere dann der Fall, wenn über einen sterbenden oder körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausgehenden Art und Weise berichtet wird. Bei der Platzierung bildlicher Darstellungen von Gewalttaten und Unglücksfällen auf Titelseiten beachtet die Presse die möglichen Wirkungen auf Kinder und Jugendliche.“
Der Presserat rügte ferner die Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Opfern und Betroffenen durch drei Fotos, ebenfalls in der „Bild“-Zeitung. In einem Beitrag über die Schießerei in Wendlingen war das Porträt eines Opfers hervorgehoben. Das sei nicht durch öffentliches Interesse gerechtfertigt. Das gilt ebenso für eine identifizierbare Jugendliche, die von einer Betreuerin getröstet wird, und für die Abbildung mehrerer erkennbarer Schüler einer benachbarten Schule im Moment der Betroffenheit.
Insgesamt ahndete der Presserat im Zusammenhang mit Winnenden 13 Verstöße gegen den Kodex. Darauf gehe ich nächste Woche ein. Siehe auch www.presserat.de