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Der Leseranwalt: Spinne am Morgen steht für Kummer und ein Missverständnis
Redaktion
 |  aktualisiert: 28.10.2008 14:28 Uhr

Trotz immerwährender Anstrengungen sind Fehler unausrottbar – bekanntlich auch in Zeitungen. Leider. Darüber gehe ich nicht hinweg, weil man jedes Mal daraus lernen kann. Deshalb präsentiere ich heute beispielhaft ein lehrreiches Missverständnis, das im September auf unserer samstäglichen bunten Seite für Kinder verbreitet wurde. Es ging um Spinnen.

Eine Menge wurde über die harmlosen und nützlichen Krabbler erklärt. Es war ein Versuch, die unbegründete Angst vor ihnen zu nehmen. Man erfuhr auch, dass Spinnen mitunter verehrt werden: Chinesen sehen Glück von oben kommen, wenn sich eine Spinne an ihrem Faden abseilt, Menschen im Westen Afrikas glauben, dass ein Spinnengott die Weisheit erschaffen hat, dazu noch Sonne, Mond und Sterne und ihnen außerdem Tag und Nacht gebracht hat. Einige Indianerstämme Nordamerikas sahen in der Spinne gar die Schöpferin der Erde.

Im Kontrast dazu las man nun auf jener auffälligen Spinnenseite unter anderem – man hätte es fast übersehen können – das hierzulande gebräuchliche Sprichwort, „Spinne am Morgen bringt Kummer und Sorgen“.

Vielleicht wissen Sie es, liebe Leser, dass das in diesem Zusammenhang weit danebenliegt und damit auch die sonst zuverlässige Deutsche Presseagentur (dpa), von der die Erklärung übernommen war. Ein darüber empörter Leser hat mich darauf gebracht. Ich gestehe ihm also ein, dass sich das „Spinne am Morgen ...“ auf die Tätigkeit des Spinnens von Wolle bezieht, nicht auf die langbeinigen Krabbler. Das uralte Sprichwort entsprang nämlich einst der Tatsache, dass die Frauen in ärmeren Schichten bereits früh damit beginnen mussten, Geld mit dem Spinnen hinzuzuverdienen. Dass es missverständlich „Spinne am Morgen ...“ statt „Spinnen am Morgen ...“ heißt, begünstigt bedauerlicherweise den entstandenen Irrtum.

Der findige Leser, der mich exemplarisch auf diesen und einen weiteren Fehler stieß, bestraft die Redaktion für sämtliche Missgriffe hart. Er lässt Zweifel erkennen, dass dort vernunftbegabte Wesen arbeiten, die des Lesens und Denkens fähig sind.

Vielleicht versöhnt dieser Beitrag. Ich bedanke mich jedenfalls für die Korrektur. Möge sich die Vernunftbegabung des aufmerksamen Mannes ausbreiten und sich in keinem Spinnennetz verfangen.

Es ehrt mich freilich, dass der Zweifler nun mich um Schadensbegrenzung bittet. Ich solle seinem Töchterchen nun bitteschön ausreden, dass ihr Tag nicht gleich gelaufen ist, wenn ihr morgens ein Spinnentierchen in den Blick gerät. Davon sei sie nun nämlich felsenfest überzeugt – nicht etwa aus kindlichem Aberglauben, sondern weil das, was in der Zeitung steht, schließlich stimmt.

Ein kluges Mädchen, von dem wir ohne den Fehler nichts erfahren hätten. Und ohne Ironie gebe ich den Auftrag zurück: Ich bin mir ganz sicher, dass es der Vater ist, der ihm Kummer und Sorgen nehmen kann. Am besten mit Hilfe der Tageszeitung.

 
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