Journalistische Entscheidungen müssen nicht immer gutgeheißen werden. Nachvollziehen konnte ich das, als ein Mann aus dem Karlstädter Raum sich beklagt hat, dass am 13. Mai unter „kurz und bündig“ nur 16 Zeilen (ohne Bild) zum Tod von Irena Sendler zu lesen gewesen seien, einen Tag später eben so viel mit Bild über Claudia Schiffer, weil sie in einer Zeitschrift unter anderem bekannte, welchen Männertyp sie bevorzugt.
Er habe nichts gegen Frau Schiffer, schreibt der Leser, aber über ein so herausragendes Beispiel für Bescheidenheit, Menschlichkeit und Zivilcourage wie Irena Sendler hätte er mehr in der Zeitung erwartet. Ich stimme ihm zu. Der Vergleich, den er anstellt, der ist aber nicht relevant. Claudia Schiffer schließt Irena Sendler nicht aus.
So hole ich einige Zeilen zu der Frau nach, die kürzlich mit 98 Jahren in Warschau starb. Kein Leser, der unsere Meldung dazu übersehen hat, soll sich fragen müssen, wer Irena Sendler gewesen ist. Sie gilt als die Retterin von 2500 jüdischen Kindern aus dem Warschauer Getto. Dort war bekanntlich eine halbe Million Menschen unter unmenschlichen Bedingungen ab 1940 von den deutschen Besatzern zusammengepfercht worden. Als Sozialarbeiterin und Krankenschwester beschaffte sich Irena Sendler damals einen Passierschein und wurde unter dem Decknamen „Schwester Jolanta“ zur Retterin der Kinder.
1943 wurde Frau Sendler denunziert und verhaftet. Trotz schlimmer Folterungen gab sie die Namen der geretteten Kinder nicht preis. Sie wurde zum Tode verurteilt. Weil die polnische Widerstandsorganisation „Zegota“ einen Offizier bestach, wurde auch die Retterin gerettet.
In Deutschland war diese Geschichte praktisch unbekannt. 1999 fanden in Kansas (USA) Schülerinnen heraus, dass Irena Sendler mehr als doppelt so vielen Juden das Leben gerettet hat wie Oskar Schindler, der in den Mittelpunkt eines erfolgreichen Filmes gestellt worden war. Erst jetzt wurde man auf die leise Heldin aufmerksam.
Tatsächlich: Diese Frau und ihr Wirken haben mehr Aufmerksamkeit verdient. Meine Informationen und viel mehr über die Frau habe ich aber im Archiv unserer Zeitung gefunden. In unserer Lokalausgabe im Rhön-Grabfeld-Kreis wurde einige Male über sie geschrieben. Das Sonderpädagogische Förderzentrum Hohenroth bei Bad Neustadt an der Saale trägt nämlich seit 2007 den Namen Irena Sendlers.