"Pädophiler kontaktierte übers Internet mehr als 1000 kleine Mädchen".
Derart viele Mädchen soll der beschuldigte User über eine Spieleseite im Internet angesprochen haben. Also wird in diesem Fall polizeilich ermittelt. Im Beitrag darüber liest man, dass die Polizei unter Verschluss hält, auf welcher Spiele-Website die Mädchen angesprochen worden sind. Begründung: Die Beamten wollen nicht, dass der/die Betreiber dieser Seite darüber viele der jungen Nutzer verliert und dadurch wirtschaftlich Schaden erleidet. Das könnte durchaus passieren, käme ihr Name an die Öffentlichkeit. Diese Fürsorge für den Betreiber ehrt die Polizei.
Journalisten sind noch keine Öffentlichkeit
Journalistische Medien gelten in der Rechtssprechung allerdings noch nicht als Öffentlichkeit. Diese Einordnung würde sie in ihrer Informationsfreiheit behindern. Sie müssen möglichst viele Informationen vor der Veröffentlichung eines Beitrages sammeln können. Deshalb darf die Entscheidung darüber, ob der Betreiber der Website in einer Veröffentlichung genannt wird oder nicht, erst in der Redaktion fallen. Sie trägt dafür Verantwortung, müsste aber auch haften, würde sie einen Namen widerrechtlich verbreiten. Kommt ihr die Polizei mit der Entscheidung zuvor und nimmt sie ihr auf des Hand, indem sie Fragen von Journalisten (hier nach dem Spiele-Portal) nicht beantwortet, dann kann die Presse ihrer Kontrollfunktion, die sie auch gegenüber der Polizei hat, nicht gerecht werden. Man könnte dann sogar von einer unerlaubten Vorzensur durch die Polizei sprechen. Die darf es nicht geben. Ebensowenig dürfen umgekehrt Journalisten auf eigene Faust in ihrem Medium nach Personen fahnden. Das ist eine Sache der Polizei. Das Berichten darüber wieder Angelegenheit von Redaktionen.
Die Freiheit des Verzichts
Es ist aus meiner Sicht aber ziemlich unwahrscheinlich, dass die Redaktion im vorliegenden Fall den Namen der Internetseite verbreitet - auch nicht, wenn sie ihn von der Polizei erfahren würde. Das muss freilich ihre Entscheidung sein. Einen Verzicht der Presse auf die Veröffentlichung versteht man über den Artikel 3 des Bayerischen Pressegesetzes (siehe unten). Daraus erklärt sich unter anderem diese ihre Freiheit.
Text gegen einen falschen Eindruck
Vor dem Hintergrund eines wahrscheinlichen redaktionellen Verzichts auf die Veröffentlichung des Namens der Website, können sich Leser nun zurecht fragen, wozu ich diese Zeilen überhaupt geschrieben habe? Meine Antwort lautet: Weil kein falscher Eindruck über Möglichkeiten und Rechte der Polizei und der Medien bei der Erfüllung ihrer wichtigen Aufgaben entstehen soll. Deshalb halte ich fest, dass der Schutz des Portal-Betreibers gegenüber recherchierenden Journalisten nicht Aufgabe der Polizei ist. Damit schränkt sie nämlich deren Informationsfreiheit ein. Es kann doch sein, dass das Wissen darum, wer es ist, für Journalisten noch hilfreich wird. Dazu gehören eventuell notwendige weitere Recherchen in diesem oder einem anderen Fall. Soweit die Perspektive des Journalismus.
Auf die Begründung kommt es an
Ich halte aber auch fest, dass die Polizei die Antwort auf gezielte Fragen von Journalisten natürlich verweigern kann, also auch denen nach dem Spiele-Portal. Sie muss das dann aber anders begründen, und zwar mit dem
Verweis auf die im vorliegenden Fall offensichtlich noch laufenden Ermittlungen.
Diese Begründung lässt darauf schließen, dass die Beamten auf dem betreffenden Spiele-Portal weiteren pädophilen Nutzern auf der Spur sind. Hinter dieser vorrangigen Tatsache muss der anfragende Journalist zurückstehen. Er darf Ermittlungen nicht gefährden. Er muss warten und neu fragen, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Das heißt meist, bis der Fall vor Gericht geht oder ein rechtskräftiges Urteil gesprochen ist.
Die Verantwortung der Polizei
Grundsätzlich trägt die Polizei Verantwortung, wenn es um Persönlichkeitsrechte bzw. den Schutz persönlicher Daten geht. Sie muss sich jeweils genau überlegen, was sie der Öffentlichkeit direkt preisgeben darf und was nicht. Aber hier wiederhole ich: Journalistische Medien sind im Sinne des Rechts noch nicht die Öffentlichkeit. Deshalb bedarf es schlüssiger Begründungen, wenn Journalisten auf gezielte Fragen Informationen über Daten verweigert werden, welche die Polizei ermittelt hat.
Traurig wäre es, würde ausgerechnet die Polizei den Medien misstrauen und nur deshalb die Antwort auf journalistische Fragen verweigern. Davon gehe ich freilich nicht aus.
Erklärung: Journalisten, so will es unser Grundrecht, das speziell dazu im Artikel 4 des Bayerischen Pressegesetzes (Siehe unten) seinen Ausdruck findet, müssen sich umfassend informieren können. Sie sollen über genug Wissen über Hintergründe und Zusammenhänge verfügen, damit sie möglichst kompetent berichten können. Das heißt auch, dass sie zuweilen mehr wissen als berichten dürfen.
Anton Sahlender, Leseranwalt Ich stütze mich bei dieser Veröffentlichung auch auf die Beratung der Berliner Medienanwaltskanzlei von Prof. Johannes Weberling, in diesem Fall speziell von RA Dr. Malte Nieschalk. Vielen Dank. Siehe: www.presserecht.de
Aus dem Bayerischen Pressegesetz:
Art. 3 [Rechte und Pflichten der Presse].
(1) Die Presse dient dem demokratischen Gedanken.
(2) Sie hat in Erfüllung dieser Aufgabe die Pflicht zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung und das Recht, ungehindert Nachrichten und Informationen einzuholen, zu berichten und Kritik zu üben.
(3) Im Rahmen dieser Rechte und Pflichten nimmt sie in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens berechtigte Interessen im Sinn des § 193 des Strafgesetzbuchs wahr.
Art. 4 [Informationsrecht der Presse].
(1) Die Presse hat gegenüber Behörden ein Recht auf Auskunft. Sie kann es nur durch Redakteure oder andere von ihnen genügend ausgewiesene Mitarbeiter von Zeitungen oder Zeitschriften ausüben.
(2) Das Recht auf Auskunft kann nur gegenüber dem Behördenleiter und den von ihm Beauftragten geltend gemacht werden. Die Auskunft darf nur verweigert werden, soweit auf Grund beamtenrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Vorschriften eine Verschwiegenheitspflicht besteht.
So stand der betreffende Beitrag am Donnerstag, 26. November 2015,
auf der Titelseite der Main-Post: