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„Zu lange in Afghanistan geblieben“
Das Gespräch führte Martin Ferber
 |  aktualisiert: 08.08.2013 19:29 Uhr

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, hat seine Forderung nach der weiteren Stationierung von Kampftruppen in Afghanistan bekräftigt und das Verteidigungsministerium kritisiert, das lediglich von einer „Schutzkomponente“ spricht. Trotz des Abzugs seien auch in Zukunft Frauen und Männer in Afghanistan im Einsatz, dort sei die Lage unverändert gefährlich. „Wir brauchen auch in Zukunft Kampftruppen – Gebirgsjäger und Fallschirmjäger sind Kampftruppen“, sagte er in einem Interview mit dieser Zeitung. Kirsch kritisiert auch das Krisenmanagement des Verteidigungsministeriums beim „Euro-Hawk“-Debakel.

Frage: Herr Kirsch, ein Untersuchungsausschuss des Bundestags versucht das Debakel um die Aufklärungsdrohne „Euro Hawk" aufzuklären. Hat der Absturz der Drohne Verteidigungsminister Thomas de Maiziere beschädigt?

Ulrich Kirsch: Minister de Maiziere hat unbestritten schwere Kratzer erhalten. Wichtig ist, dass er jetzt die unmittelbaren Schlussfolgerungen aus den Vorkommnissen zieht.

Als da wären?

Kirsch: Im Zentrum steht die Frage: Welche Fehlerkultur lassen wir im System Bundeswehr zu? Ich bin ganz sicher, wenn es mehr als bisher erlaubt ist, Dinge, die erkennbar nicht gut laufen, auch beim Namen zu nennen und wenn dies auch belohnt wird, dass die Bundeswehr wesentlich erfolgreicher sein könnte.

Gibt es in diesem Bereich Defizite?

Kirsch: Leider war das Prinzip bisher oft so, dass im Ministerium die Fassade nach außen glänzen musste, wohl wissend, dass dahinter so manches nicht in Ordnung ist.

Was bedeutet das für Beschaffungsmaßnahmen wie den „Euro Hawk“?

Kirsch: Wir stehen vor der großen Herausforderung, dass die Aufklärungslücke, die durch den Ausstieg aus dem „Euro Hawk“ entsteht, anders geschlossen werden muss. Wir brauchen diese Fähigkeit, um unsere Soldaten im Einsatz zu schützen. Diese Lücke haben wir schon im Jugoslawienkrieg gespürt, wo wir erfahren haben, dass man gut beraten ist, diese Daten selber zu haben. Klar ist, den „Euro Hawk“ als Trägersystem wird es nicht geben. Die Alternative wäre ein bemanntes Luftfahrzeug mit der entsprechenden Aufklärungstechnik, beispielsweise ein kleiner Airbus. Aber das muss nun entschieden werden.

Aber der Schaden durch den Ausstieg bleibt?

Kirsch: Ja, es ist, vorsichtig gesagt, eine Menge Geld verloren gegangen. Wo nun das Geld herkommt, das wir benötigen, um die Fähigkeitslücke zu schließen, weiß niemand. Hinzu kommt, dass wir wegen des Betreuungsgeldes kräftig zur Kasse gebeten werden, wahrscheinlich mit einer Milliarde in vier Jahren. Die Gegenfinanzierung ist durch alle Ressorts aufzubringen, also auch durch den Verteidigungsetat. Meine große Sorge ist, dass das Geld nun aus Töpfen genommen wird, die eigentlich dazu dienen sollten, die Attraktivität des Soldatenberufes zu steigern, mehr zu tun für die Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Die Weichenstellung, wie es mit der Aufklärung weitergeht, muss Minister de Maiziere noch vornehmen, solange er noch im Amt ist.

Hat es sich de Maiziere vor dem Untersuchungsausschuss zu leicht gemacht mit seiner Aussage, er habe von allem nichts gewusst, und als er es erfahren habe, war es schon zu spät?

Kirsch: Minister de Maiziere hat selber gesagt, er habe sich unpräzise ausgedrückt, was die Information über die Probleme beim „Euro Hawk“ angegangen sei. Ich fasse es so zusammen: Am Ende hat bei der ganzen Sache niemand gewonnen. Alle haben verloren. Vor allem hat die Bundeswehr einen weiteren Imageschaden genommen, das treibt mich am meisten um. Die Frage, wer wann was wusste und wann wie informiert wurde, ist dabei völlig nachrangig. Vor kurzem hat es noch geheißen, mit „Euro Hawk“ beginnt die Zukunft der Luftwaffe.

In Afghanistan hat der Abzug der Kampftruppen begonnen. Sehen Sie die Gefahr, dass die Ausbilder, die auch weiterhin am Hindukusch im Einsatz sind, nicht ausreichend geschützt werden?

Kirsch: Wir sind in Afghanistan in einer Phase des Übergangs. Die Verantwortung für die Sicherheit geht zunehmend an afghanische Kräfte, die durch die NATO ausgebildet worden sind. Da ist viel passiert. Die Afghanen müssen die Geschicke ihres Landes in die eigenen Hände nehmen. Entsprechend wandelt sich die Aufgabe unserer Soldaten, die beraten und assistieren, aber nicht mehr begleiten. Dennoch haben wir weiterhin Frauen und Männer in Afghanistan, die weiter eine Schutzkomponente benötigen, wie es das Ministerium ausdrückt. Ich sage: Wir brauchen auch in Zukunft Kampftruppen – Gebirgsjäger und Fallschirmjäger sind Kampftruppen. Da rate ich, nicht herumzueiern, sondern die Dinge klar beim Namen zu nennen.

Welche Lehren müssen aus dem Einsatz in Afghanistan gezogen werden?

Kirsch: Die wichtigste Lehre ist: Wer irgendwo reingeht, muss von Anfang an wissen, wie er wieder herauskommt. Und er muss die Frage beantworten: Ab wann sind Soldaten kontraproduktiv? Mit Soldaten kann man Zeit kaufen. Soldaten sind dazu da, ein unsicheres Umfeld sicher zu machen, wenn dies nur mit Waffengewalt möglich ist. Aber wenn dies erreicht ist, sind Soldaten nicht mehr notwendig.

Waren wir zu lange in Afghanistan?

Kirsch: Wir sind mit Soldaten zu lange in Afghanistan geblieben, weil es nicht gelungen ist, rechtzeitig mit zivilen Kräften den Aufbau der Staatlichkeit in Angriff zu nehmen. Soldaten sind nicht dazu da, die Polizei, die Justiz oder die Wirtschaft eines Landes aufzubauen.

Ulrich Kirsch

Der Oberst des Heeres der Bundeswehr Ulrich Kirsch ist seit Anfang 2009 Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes. Kirsch trat 1971 in den Dienst der Bundeswehr. Nach der Ausbildung zum Offizier und dem Dienst bei der Luftwaffe wechselte er 1981 zum Heer an die ABC- und Selbstschutzschule in Sonthofen. Zwischen 1986 und 1987 war er Adjutant beim Heeresamt in Köln. Von 1987 bis 2002 diente er unter anderem als Kasernenkommandant in Sonthofen. Im Verteidigungsministerium in Bonn war Kirsch zwischen 2002 und 2005 tätig. 2009 folgte die Ernennung zum Oberst. FOTO: dpa

 
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