Wie sicher sind wir hierzulande wirklich? Die Menschen, die täglich von Einbruch, Mord und Totschlag hören und lesen, haben Angst, selbst Opfer zu werden. Der Furcht setzt die Polizei – wie jedes Frühjahr – die Zahlen der Kriminalstatistik entgegen. Und die sagen: „Fürchtet Euch nicht, Ihr lebt hier so sicher wie nie zuvor!“
Das ist auch im Frühjahr 2018 der Tenor wohin man schaut: „Rückgang der Einbrüche“ im Saarland; „Düsseldorf ist sicherer geworden“ jubelt Nordrhein-Westfalen; eine „steigende Aufklärungsquote“ hat Baden-Württemberg. Und auch aus Bayern heißt es „weniger Straftaten“. Doch so objektiv die Fakten auch erscheinen mögen: Der Bürger traut dem Zahlenzauber nicht so recht. Er kennt ja den Nutzwert von Statistik vom Fußball: Die eine Mannschaft kann 80 Prozent Feldüberlegenheit haben, zwei von drei Zweikämpfen gewinnen und 18:2 Eckbälle verbuchen. Aber was heißt das schon, wenn der Gegner das einzige Tor im Spiel schießt?
Zahlen zeigen immer nur einen Teil der Wahrheit
Die Kriminalstatistik zeigt immer nur den Teil der Wahrheit, den die Polizei weiß. Schon die Strafverfolgungsstatistik gäbe tendenziell andere Eindrücke wider. Sie wird vom Statistischen Bundesamt herausgegeben. Aber kaum einer kennt sie – was vielleicht daran liegt, dass sie vom Bundesjustizminister nicht öffentlich präsentiert wird.
Unbestreitbar gehen die Zahlen gerade beim brutalsten aller Delikte, dem Mord, seit Jahrzehnten zurück. Gleichzeitig scheinen jetzt Anstrengungen bei der koordinierten Bekämpfung von Einbrechern zu greifen. Dank guter Aufklärungskampagnen werden Senioren seltener Opfer des Enkeltricks.
Man kann allerdings sicher zweifeln, dass die Ermittler wirklich wissen, was in den dunklen Abgründen des Internets bei Themen wie sexueller Gewalt gegen Kinder und Drogendelikten gerade passiert. Wer sich die Zustände jenseits unserer Grenzen anschaut, darf anhand der Statistik trotzdem zu dem Schluss kommen: Wir leben in einem der sichersten Länder der Erde.
Aber paradoxerweise steigt trotz sinkender Deliktzahlen die Furcht, Opfer einer Straftat zu werden. Woran liegt das? Kriminologen glauben, die Macht der Bilder verzerrt die Wahrnehmung – dank ungefilterter Berichterstattung gerade auch in den Sozialen Medien: Ein Trommelfeuer scheinbarer Bedrohung prasselt auf die Mediennutzer ein. Dadurch entstehe der Eindruck, dass immer mehr passiert – obwohl das Gegenteil der Fall sei.
Es gibt nicht auf jede Frage eine klare und eindeutige Antwort
Deshalb ist eine Einordnung wichtiger denn je. Wenn zum Beispiel von weniger jugendlichen Straftätern als in Vorjahren die Rede ist, kann das ein Ergebnis massiver Anstrengungen sein – oder schlicht langjähriger Effekt der sinkenden Geburtenzahlen. Gibt es weniger Rauschgiftfunde, weil die Polizei so tüchtig ist – oder weil es ihr an Personal fehlt, genau nachzuschauen? Wenn schließlich die Zahl der Steuersünder sinkt, kann dies ein Ergebnis größerer (meist erzwungener) Steuerehrlichkeit sein. Es kann aber auch ein Indiz dafür sein, dass die Politik der Wirtschaft (freiwillig oder nicht) weniger Fesseln anlegen will und eine über Jahre hinweg erfolgreiche Truppe von Steuerfahndern lahmgelegt hat.
Das alles heißt nicht, dass die Kriminalstatistik lügt. Aber wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir dank dieser Statistik auf einfache Fragen klare Antworten bekommen – obwohl wir das so gerne hätten. Es gibt kein „entweder – oder“, sondern nur ein „einerseits“ und „andererseits“. Diese Botschaft kommt bei zwei Gruppen schlecht an: Bei Journalisten, denen es zu kompliziert ist, das zu erklären. Und bei Politikern, deren Handwerk das Rechthaben und das Anbieten einfacher Lösungen ist. Sie brauchen simple Botschaften – koste es, was es wolle. Denn angeblich will der Wähler (das sind Sie!) einfach nicht mehr. Ist das tatsächlich so?
Anmerkung: Der zweite Satz ist pure Satire!
Ob die Zahlen bei Mord tatsächlich zurückgehen wage ich mal zu bezweifeln. Vermutlich sind vielmehr die laxen Leichenschauen die Ursache dafür, dass viele Totesfälle gar nicht als Mord erkannt wird. Ähnlich sieht’s bei den Steuerhinterziehungen aus. Wenn wie in Bayern, die Zahl der Steuerfahnder bewusst niedrig gehalten wird, leben die kriminellen Steuerhinterzieher relativ sicher. Mich wundert nur, dass es von der bayrischen Politik noch keinen Ruf nach einer Legalisierung von Cannabis gibt. Das wäre doch die Gelegenheit, um die Zahl der Rauschgiftdelikte nochmal kräftig nach unten zu drücken. Da ist aber die Alkoholobby aus Winzern, Brauereien und Schnapsbrennereien zu groß, um diesen Schritt zumgehen.