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„Wir jammern nicht, wir klagen“
reda
 |  aktualisiert: 23.08.2015 19:18 Uhr

Wir jammern nicht. Wir klagen.“ Unter diesem Motto haben sich Familienverbände und Eltern zusammengetan, um die ihrer Meinung nach ungerechte Architektur des Sozialstaats umzubauen. Mit Spannung erwarten sie ein Urteil des Bundessozialgerichts, das für diesen Oktober angekündigt ist: Familien haben dort drei Musterverfahren gegen „ungerechte Sozialbeiträge“ angestrengt. Zuvor hatten sie vergeblich bei Kranken- und Rentenkassen eine Verringerung ihrer Beiträge beantragt.

Unterstützt werden die Eltern vom Familienbund der Katholiken (FDK) und vom Deutschen Familienverband (DFV). „Heute zahlen 14 Millionen Eltern mit minderjährigen Kindern doppelt in die Sozialversicherungen ein“, argumentieren die beiden Verbände, die im Februar die Kampagne „elternklagen.de“ ins Leben gerufen haben.

Argumentationshilfe gibt ihnen die Studie der Bertelsmann Stiftung „Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung“, die das Rentensystem als „nicht familiengerecht“ kritisiert: Ein heute 13-Jähriger werde im Laufe seines Lebens durchschnittlich 77 000 Euro mehr in die Rentenkasse einzahlen, als er selbst an Rente beziehen wird, heißt es darin. Seine Eltern jedoch hätten davon wenig: Zwar hätten sie mit der Gründung einer Familie und ihrer Erziehungsleistung der Rentenkasse diesen Überschuss erst ermöglicht. „Aber weder erhöht sich dadurch ihre eigene Rente wesentlich, noch zahlen sie weniger Beiträge als Kinderlose.“

Die beiden Verbände rufen deshalb die Eltern in Deutschland auf, bei der Kranken- und der Rentenkasse eine Verringerung ihrer Beiträge zu beantragen. „Zahlen Sie nicht doppelt, wehren Sie sich“, appellieren sie an die Eltern und stellen Musterschreiben an die Versicherungen zur Verfügung. Sie verweisen dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Pflegeversicherung von 2001.

Damals hatten die Karlsruher Richter entschieden, dass Eltern verfassungswidrig belastet werden, weil neben den Geldbeiträgen der gleichwertige Erziehungsbeitrag nicht berücksichtigt werde. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, auch die Kranken- und Rentenversicherung auf die Frage der Familiengerechtigkeit hin zu prüfen.

„Der Staat klaut den Familien die Sau vom Hof und bringt lediglich drei Koteletts zurück.“
Der hessische Sozialrichter Jürgen Borchert fordert mehr Familiengerechtigkeit

„Seitdem ist nichts passiert“, kritisierte der Präsident des Familienbundes, Stefan Becker, im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur KNA. Der Gesetzgeber habe zwar den Beitrag für Kinderlose in der Pflegeversicherung leicht angehoben. Bei Kranken- oder Rentenversicherung sei das aber nicht geschehen. Und DFV-Präsident Klaus Zeh sagte der „Bild am Sonntag“: „Jene, die das System am Leben halten – die Eltern –, werden ständig ignoriert. Damit muss endlich Schluss sein.“ Nach Berechnungen der Verbände müssten Familien um mindestens 238 Euro pro Kind und Monat entlastet werden.

Die Familienverbände haben sich bei ihrer Kampagne prominente Unterstützung geholt. Der hessische Sozialrichter Jürgen Borchert versucht schon seit drei Jahrzehnten, die Politik zu einem Kurswechsel zu zwingen und mehr Familiengerechtigkeit durchzusetzen. Nach Einschätzung des Juristen, der maßgeblich am sogenannten Trümmerfrauenurteil (1992) und am Urteil zur Pflegeversicherung von 2001 des Bundesverfassungsgerichts beteiligt war, stammen die geltenden Steuer- und Sozialsysteme „aus einer Zeit, in welcher lebenslange Kinderlosigkeit kein Thema war“.

Derzeit müssten Eltern sowohl einen höheren Anteil an Verbrauchssteuern zahlen als auch durch Kindererziehung die Renten der Kinderlosen vorfinanzieren. Allein über Renten-, Pflege- und Krankenversicherung würden jährlich 120 Milliarden Euro von Familien hin zu Kinderlosen verteilt.

Die vom Staat im Gegenzug erstatteten Leistungen wie Kindergeld oder die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rente bezeichnet der Sozialexperte demgegenüber als lächerlich. So würden die Kosten der Erziehungszeiten nicht den Kinderlosen auferlegt, sondern „zu tragen haben diese Mogelpackung in Zukunft allein die Kinder der bedachten Eltern“, findet der Sozialrichter. Jürgen Borchert bringt es in drastischen Worten auf den Punkt: Der Staat „klaut den Familien die Sau vom Hof und bringt lediglich drei Koteletts zurück“, schrieb er in seiner 2013 erschienenen Streitschrift „Sozialstaatsdämmerung“.

Was die Statistik zu Ehen, Kindern und Todesfällen sagt

Mehr Ehen, mehr Kinder, weniger Todesfälle: Das Statistische Bundesamt hat erst Ende der vergangenen Woche die vorläufigen Zahlen zum Thema Familie vorgelegt. Die gute Nachricht: Das Geburtendefizit schrumpft. 2014 wurden in Deutschland 715 000 Kinder geboren. Das waren 4,8 Prozent (oder 33 000 Neugeborene) mehr als im Jahr davor. So viele Geburten gab es seit zehn Jahren nicht mehr: Über 700 000 Kinder in einem Jahr wurden zuletzt 2004 geboren. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) sagte dazu, „das ist ein schönes Signal, dass in Deutschland wieder mehr Kinder geboren werden.

Wir müssen uns weiterhin anstrengen, Familien in Deutschland gut zu unterstützen.“ Im vergangenen Jahr haben sich zudem mehr Menschen für eine Ehe entschieden. 386 000 Paare schlossen den Bund fürs Leben. Das ist eine Steigerung von 3,3 Prozent (oder 12 000 Ehen) im Vergleich zum Vorjahr. Zurückgegangen ist die Zahl der Todesfälle: Im Jahr 2014 starben 868 000 Menschen. Das waren 2,8 Prozent (oder 26 000 Verstorbene) weniger als im Jahr davor. Diese Zahlen schwanken stark, wie die Statistiken beweisen. Abhängig ist sie von der Stärke der älteren Jahrgänge: In einer vom Zweiten Weltkrieg dezimierten Generation können weniger Menschen sterben. Die Zahl der Todesfälle liegt trotzdem wie gehabt weit über der Zahl der Geburten: „Wie in allen Jahren seit 1972 starben mehr Menschen, als Kinder geboren wurden“, sagt Anja Conradi-Freundschuh vom Statistischen Bundesamt. Dennoch deutet vieles auf eine Trendwende hin: 2014 lag die Differenz nur noch bei 153 000. Im Jahr zuvor waren 212 000 Menschen mehr gestorben, als geboren wurden. Das war der höchste Stand seit Bestehen der Statistik. Text: dpa

 
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