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WÜRZBURG
"Wir haben keine Vision von Europa, wir sind pragmatisch"
Der britische Generalkonsul in München, Paul Heardman, beim Redaktionsgespräch in Würzburg.
Foto: Thomas Obermeier | Der britische Generalkonsul in München, Paul Heardman, beim Redaktionsgespräch in Würzburg.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 30.06.2014 12:18 Uhr

Die Briten gelten als die größten Europaskeptiker innerhalb der EU. Sogar von einem Austritt Londons aus der Staatengemeinschaft ist die Rede – für Paul Heardman, britischer Generalkonsul in München, ist das keine Option. Im Interview gewährt der Europabefürworter einen Einblick in die aus seiner Sicht missverstandenen britischen Befindlichkeiten.

Frage: In Großbritannien ist ein Austritt aus der Europäischen Union seit langem ein Thema. Wem würde ein Austritt mehr schaden? Den Briten selbst oder dem Rest Europas?

Paul Heardman: Es wäre ein Verlust für beide Seiten. Ziel der britischen Regierung ist es, weiterhin ein starkes Mitglied der EU zu bleiben. Wir profitieren sehr davon – wirtschaftlich gesehen. Und wir sind alle stärker, wenn wir zusammenarbeiten, auch im außenpolitischen Bereich. Zur gleichen Zeit gibt es einen sehr hohen Bedarf, eine Reformagenda in Europa umzusetzen. Wir sagen Ja zu einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union, und gleichzeitig Ja zu einer besseren Reformpolitik in Europa. Das ist übrigens kein rein britisches Anliegen. Das sagen auch viele europäische Unternehmer und andere Regierungen.

Es heißt trotzdem immer die Briten sind die Miesepeter in der EU. Sie geben dagegen ein klares Bekenntnis zu Europa ab. Fühlt man sich als Brite manchmal missverstanden?

Heardman: Ja. Manchmal stimmen die Berichte über die britische Haltung nicht mit dem überein, was wir eigentlich erreichen wollen. Es ist enttäuschend, dass das, was wir sagen, oft so aufgefasst wird, als ob wir Briten eine Sonderrolle spielen würden. Alle Mitgliedstaaten haben nationale Interessen, die sie auch vertreten. Vielleicht sagen wir das ein bisschen häufiger. Aber das, was wir fordern, ist in der Substanz richtig.

Die von den Briten geforderte bessere Reformpolitik, wird auf dem Kontinent oft als eine Forderung nach weniger Gemeinschaftspolitik verstanden.

Heardman: Diese Interpretation ist nicht richtig. In manchen Bereichen wollen wir sogar mehr Europa, mehr Gemeinschaftspolitik . . .

Wo?

Heardman: Zum Beispiel beim Binnenmarkt. Das ist eine historische Errungenschaft der EU. Ein großes Loch im Binnenmarkt gibt es allerdings im Dienstleistungsbereich. Da wünschen sich die Briten mehr Europa. Aber es ist richtig, dass wir glauben, dass in Brüssel zu viele Einzelheiten geregelt werden. Die EU sollte nur in Bereichen entscheiden, wo Europa einen Mehrwert erzeugt. Wir glauben, dass Europa in manchen Bereichen zu weit gegangen ist.

Und für dieses Zuweitgehen steht Jean-Claude Juncker?

Heardman: Wir brauchen diese Reformagenda mehr denn je. Das hat die Beteiligung bei der Europawahl gezeigt. Und dafür brauchen wir eine Kommission, die diese Reformagenda versteht. Deswegen wollen wir einen Kommissionspräsidenten, der diese Agenda auch aufgreift.

Sie haben die Europawahlen angesprochen. EU-Kritik gab es im Vorfeld in nahezu allen Mitgliedstaaten. Dennoch scheint es, als ob sie in Großbritannien am ausgeprägtesten war. Woher kommt das?

Heardman: Das liegt an unterschiedlichen Faktoren, darunter an der Geografie: Wir sind eine Insel und haben deswegen eine andere Wahrnehmung von Europa – auch in der Geschichte. Aber es ist nicht wahr, dass die EU-Skepsis nur in Großbritannien steigt. Es ist eine Entwicklung, die uns Sorgen macht. Denn die EU kann nur erfolgreich bleiben, wenn sie die Akzeptanz der Bürger hat. Die Lösung dafür kann aber nicht heißen „immer weiter so“.

Wenn Sie sagen, ein „Weiter so“ ist keine Option. Wie sieht die Alternative aus? Haben Sie eine Exit-Strategie im Hinterkopf, etwa mit der Idee einer britischen Sonderrolle, wie sie die Schweiz oder Norwegen hat – eigene Währung, nicht in der EU, aber enger Partner?

Heardman: Zwischen „Weiter so“ und Austritt gibt es andere Möglichkeiten. Was wir befürworten, ist die Reformagenda aufzugreifen: Bürkoratieabbau, Abwägen, welche Entscheidungen sinnvoll sind, und eine bessere Wirtschaftspolitik, damit uns Länder wie China nicht abhängen. Und David Cameron hat für den Fall seiner Wiederwahl angekündigt, Kompetenzen aus Brüssel zurück nach London zu holen.

Cameron hat aber auch versprochen, wenn er wiedergewählt wird, gibt es ein Referendum über den EU-Austritt Großbritanniens.

Heardman: Ja, aber auf Basis dieser neuen Verhandlungen mit der EU . . .

. . . ist das nicht hoch gepokert? Kann man sicher sein, dass sich eine Mehrheit der Briten mit neuen Reformversprechen der Regierung von Europa überzeugen lässt?

Heardman: Wir haben keinen Traum, keine Vision von Europa wie andere Länder. Wir Briten sind pragmatisch. Wenn der Bevölkerung klar gemacht wird, dass eine EU-Mitgliedschaft Arbeitsplätze, den Export und den Wohlstand sichert, bin ich optimistisch. Im Moment ist eine knappe Mehrheit gegen eine Mitgliedschaft. Aber wenn man den Briten in Aussicht stellt, dass die Abhängigkeit von Brüssel gelockert wird, wird dieses Stimmungsbild kippen.

Sie haben von einer besseren Wirtschaftspolitik gesprochen. Was meinen Sie damit und wie reagieren bayerische Unternehmer auf diesen Vorstoß?

Heardman: Die Unternehmer zeigen breite Sympathien dafür. Wir sind als Insel exportgesinnt, genauso wie Bayern. Deswegen versteht man hier, dass man etwas ändern muss. Konkret heißt das, es muss eine andere Arbeitskultur in der Kommission geben: Die Kommission macht nicht dann eine gute Arbeit, wenn sie möglichst viel Richtlinienentwürfe produziert, sondern wenn sie Beiträge zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit leistet. Zuletzt lag der Fokus zu sehr auf Regulierungen und zu wenig auf deren Folgen.

Was wären denn die Folgen für den britischen Export, wenn man nicht mehr in der EU wäre?

Heardman: Die Hälfte unserer Exporte gehen in europäische Länder. Der Binnenmarkt ist ein erheblicher Vorteil für britische Firmen . . .

All diesen Vorteilen zum Trotz: Die europakritische Ukip hat bei der Europawahl gut abgeschnitten. Im kommenden Jahr sind Unterhauswahlen. Muss Cameron die Ukip fürchten?

Heardman: Ukip hat eine Wirkung auf die innenpolitische Debatte in Großbritannien. Ähnlich wie der Front National in Frankreich oder die AfD hier.

Haben die anderen Parteien es versäumt, das Thema Europa auf die Agenda zu setzen?

Heardman: Nein. Alle wichtigen EU-Themen – Reformen, Wirtschaftspolitik – stehen im Koalitionsabkommen der Regierung . . .

. . . eine Finanztransaktionssteuer nicht.

Heardman: Diese Idee ist für die britische Regierung auch inakzeptabel. Mit unseren nationalen Regelungen sind wir in sämtlichen Bereichen weiter gegangen als Brüssel will, damit wir nicht wieder eine Krise erleben. Die Logik der Finanztransaktionssteuer verstehen wir nicht. Selbst die Kommission hat eine Studie gemacht, die zu dem Schluss kommt, dass diese Steuer schlecht für die europäische Volkswirtschaft wäre. Wir sind also für eine Regulierung für die Finanzmärkte – aber das muss gut durchdacht sein.

Wie denken die Briten eigentlich über das geplante Freihandelsabkommen mit den USA?

Heardman: Wir sind für TTIP. Europa braucht das Abkommen, nicht weil wir Standards senken wollen, sondern weil es wichtig für unseren wirtschaftlichen Fortschritt ist. Es würde die Wachstumsrate in Europa erhöhen und viele neue Arbeitsplätze schaffen. Aber wir müssen hart mit den Amerikanern darüber verhandeln und sollten nicht einfach akzeptieren, was sie sich wünschen.

Im Herbst stimmen die Schotten über eine Abspaltung von Großbritannien ab. Ohne Schottland würde laut Expertenmeinung das britische Bruttoinlandsprodukt um zehn Prozent sinken. Wie gelassen sehen Sie dieser Abstimmung entgegen?

Heardman: Schottland und der Rest Großbritanniens ist gemeinsam stärker. Deswegen war in Umfragen immer eine Mehrheit der Schotten für den Verbleib in Großbritannien.

Schottland geht es besser mit Großbritannien, Großbritannien geht es besser mit der EU – und umgekehrt. Gibt es da eine Parallele?

Heardman: Ja, das kann man so sagen. In beiden Fällen muss man aber über die stärke der Beziehung und der Abhängigkeit reden.

Paul Heardman

Seit Juli 2012 ist Paul Heardman britischer Generalkonsul für Bayern und Baden-Württemberg. Heardman trat 1995 in den britischen Staatsdienst. Zunächst arbeitete er im britischen Wirtschaftsministerium, wo er mit EU-Wettbewerbspolitik und Binnenmarktfragen befasst war. Nach einer Abordnung zur Europäischen Kommission war er im Europa-Sekretariat des britischen Kabinettsamts tätig und beriet das Büro des Premierministers in Europafragen. Als Diplomat war er bereits an der britischen Botschaft in Berlin tätig. Text: Ben, FOTO: Obermeier

 
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