Die Briten gelten als die größten Europaskeptiker innerhalb der EU. Sogar von einem Austritt Londons aus der Staatengemeinschaft ist die Rede – für Paul Heardman, britischer Generalkonsul in München, ist das keine Option. Im Interview gewährt der Europabefürworter einen Einblick in die aus seiner Sicht missverstandenen britischen Befindlichkeiten.
Paul Heardman: Es wäre ein Verlust für beide Seiten. Ziel der britischen Regierung ist es, weiterhin ein starkes Mitglied der EU zu bleiben. Wir profitieren sehr davon – wirtschaftlich gesehen. Und wir sind alle stärker, wenn wir zusammenarbeiten, auch im außenpolitischen Bereich. Zur gleichen Zeit gibt es einen sehr hohen Bedarf, eine Reformagenda in Europa umzusetzen. Wir sagen Ja zu einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union, und gleichzeitig Ja zu einer besseren Reformpolitik in Europa. Das ist übrigens kein rein britisches Anliegen. Das sagen auch viele europäische Unternehmer und andere Regierungen.
Heardman: Ja. Manchmal stimmen die Berichte über die britische Haltung nicht mit dem überein, was wir eigentlich erreichen wollen. Es ist enttäuschend, dass das, was wir sagen, oft so aufgefasst wird, als ob wir Briten eine Sonderrolle spielen würden. Alle Mitgliedstaaten haben nationale Interessen, die sie auch vertreten. Vielleicht sagen wir das ein bisschen häufiger. Aber das, was wir fordern, ist in der Substanz richtig.
Heardman: Diese Interpretation ist nicht richtig. In manchen Bereichen wollen wir sogar mehr Europa, mehr Gemeinschaftspolitik . . .
Heardman: Zum Beispiel beim Binnenmarkt. Das ist eine historische Errungenschaft der EU. Ein großes Loch im Binnenmarkt gibt es allerdings im Dienstleistungsbereich. Da wünschen sich die Briten mehr Europa. Aber es ist richtig, dass wir glauben, dass in Brüssel zu viele Einzelheiten geregelt werden. Die EU sollte nur in Bereichen entscheiden, wo Europa einen Mehrwert erzeugt. Wir glauben, dass Europa in manchen Bereichen zu weit gegangen ist.
Heardman: Wir brauchen diese Reformagenda mehr denn je. Das hat die Beteiligung bei der Europawahl gezeigt. Und dafür brauchen wir eine Kommission, die diese Reformagenda versteht. Deswegen wollen wir einen Kommissionspräsidenten, der diese Agenda auch aufgreift.
Heardman: Das liegt an unterschiedlichen Faktoren, darunter an der Geografie: Wir sind eine Insel und haben deswegen eine andere Wahrnehmung von Europa – auch in der Geschichte. Aber es ist nicht wahr, dass die EU-Skepsis nur in Großbritannien steigt. Es ist eine Entwicklung, die uns Sorgen macht. Denn die EU kann nur erfolgreich bleiben, wenn sie die Akzeptanz der Bürger hat. Die Lösung dafür kann aber nicht heißen „immer weiter so“.
Heardman: Zwischen „Weiter so“ und Austritt gibt es andere Möglichkeiten. Was wir befürworten, ist die Reformagenda aufzugreifen: Bürkoratieabbau, Abwägen, welche Entscheidungen sinnvoll sind, und eine bessere Wirtschaftspolitik, damit uns Länder wie China nicht abhängen. Und David Cameron hat für den Fall seiner Wiederwahl angekündigt, Kompetenzen aus Brüssel zurück nach London zu holen.
Heardman: Ja, aber auf Basis dieser neuen Verhandlungen mit der EU . . .
Heardman: Wir haben keinen Traum, keine Vision von Europa wie andere Länder. Wir Briten sind pragmatisch. Wenn der Bevölkerung klar gemacht wird, dass eine EU-Mitgliedschaft Arbeitsplätze, den Export und den Wohlstand sichert, bin ich optimistisch. Im Moment ist eine knappe Mehrheit gegen eine Mitgliedschaft. Aber wenn man den Briten in Aussicht stellt, dass die Abhängigkeit von Brüssel gelockert wird, wird dieses Stimmungsbild kippen.
Heardman: Die Unternehmer zeigen breite Sympathien dafür. Wir sind als Insel exportgesinnt, genauso wie Bayern. Deswegen versteht man hier, dass man etwas ändern muss. Konkret heißt das, es muss eine andere Arbeitskultur in der Kommission geben: Die Kommission macht nicht dann eine gute Arbeit, wenn sie möglichst viel Richtlinienentwürfe produziert, sondern wenn sie Beiträge zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit leistet. Zuletzt lag der Fokus zu sehr auf Regulierungen und zu wenig auf deren Folgen.
Heardman: Die Hälfte unserer Exporte gehen in europäische Länder. Der Binnenmarkt ist ein erheblicher Vorteil für britische Firmen . . .
Heardman: Ukip hat eine Wirkung auf die innenpolitische Debatte in Großbritannien. Ähnlich wie der Front National in Frankreich oder die AfD hier.
Heardman: Nein. Alle wichtigen EU-Themen – Reformen, Wirtschaftspolitik – stehen im Koalitionsabkommen der Regierung . . .
Heardman: Diese Idee ist für die britische Regierung auch inakzeptabel. Mit unseren nationalen Regelungen sind wir in sämtlichen Bereichen weiter gegangen als Brüssel will, damit wir nicht wieder eine Krise erleben. Die Logik der Finanztransaktionssteuer verstehen wir nicht. Selbst die Kommission hat eine Studie gemacht, die zu dem Schluss kommt, dass diese Steuer schlecht für die europäische Volkswirtschaft wäre. Wir sind also für eine Regulierung für die Finanzmärkte – aber das muss gut durchdacht sein.
Heardman: Wir sind für TTIP. Europa braucht das Abkommen, nicht weil wir Standards senken wollen, sondern weil es wichtig für unseren wirtschaftlichen Fortschritt ist. Es würde die Wachstumsrate in Europa erhöhen und viele neue Arbeitsplätze schaffen. Aber wir müssen hart mit den Amerikanern darüber verhandeln und sollten nicht einfach akzeptieren, was sie sich wünschen.
Heardman: Schottland und der Rest Großbritanniens ist gemeinsam stärker. Deswegen war in Umfragen immer eine Mehrheit der Schotten für den Verbleib in Großbritannien.
Heardman: Ja, das kann man so sagen. In beiden Fällen muss man aber über die stärke der Beziehung und der Abhängigkeit reden.
Paul Heardman
Seit Juli 2012 ist Paul Heardman britischer Generalkonsul für Bayern und Baden-Württemberg. Heardman trat 1995 in den britischen Staatsdienst. Zunächst arbeitete er im britischen Wirtschaftsministerium, wo er mit EU-Wettbewerbspolitik und Binnenmarktfragen befasst war. Nach einer Abordnung zur Europäischen Kommission war er im Europa-Sekretariat des britischen Kabinettsamts tätig und beriet das Büro des Premierministers in Europafragen. Als Diplomat war er bereits an der britischen Botschaft in Berlin tätig. Text: Ben, FOTO: Obermeier