
Parteienforschung, so schreibt der Politikwissenschaftler Klaus von Beyme in seinem Standardwerk „Parteien im Wandel“, sei ein frustrierendes Geschäft. „Alle paar Jahre ist sie mit aufregenden Untergangsszenarien beschäftigt“. Das Werk erschien im Jahr 2000, aber Krisenstimmung und Untergangsszenarien begleiten die politischen Parteien, seit es sie gibt. Vor allem den Volksparteien wird regelmäßig das Totenglöcklein geläutet. Bislang haben sie ihre Kritiker noch immer Lügen gestraft. Doch das ist keine Selbstverständlichkeit.
- Der Mitgliederentscheid ist ausgewertet: SPD-Basis stimmt für neue GroKo
In anderen europäischen Staaten ist es zu beobachten: Dort verschwanden über Jahrzehnte etablierte Volksparteien in kürzester Zeit von der Bildfläche. An ihre Stelle traten neue Parteien und Bewegungen. Teils populistisch, teils modern und unverbraucht. Oft versuchten die etablierten Volksparteien in gemeinsamen Regierungsbündnissen ihre Macht zu sichern, dies beschleunigte den Schrumpfungsprozess meistens noch mehr.
Große Koalitionen sind nicht die Wurzel allen Übels
Doch es wäre falsch, die Große Koalition aus Union und SPD allein für den Niedergang der Volksparteien verantwortlich zu machen. Sieht man einmal von der Flüchtlingspolitik ab, bekommt die Regierung unter Angela Merkel in der Bevölkerung doch eher gute Noten. Und die Flüchtlingsbewegung traf ja nicht auf ein von Arbeitslosigkeit und Armut gebeuteltes Land. Die historisch schlechten Wahlergebnisse von SPD und Union müssen andere, tiefere Ursachen haben.
Dabei mangelt es den Parteien in Deutschland keineswegs an Geld, Einfluss oder Macht. Sie sind im öffentlichen Leben omnipräsent, schicken ihre Leute in Parlamente, Regierungen und Rundfunkräte, spielen im öffentlichen Leben nach wie vor eine Hauptrolle. Und doch wirken sie mut-, kraft-, und ziellos.
Was wurde nicht alles aufgedeckt: Parteienfilz, Spendenskandale und eine ungebrochene Selbstversorgungsmentalität. Ist das Maß irgendwann einmal voll? Haben wir über viele Jahre zu viele Negativ-Schlagzeilen über unsere Parteien lesen müssen und sehen schlicht zu wenig Gegenleistung? Aber warum gerade jetzt? Sind die Bürger im Internetzeitalter aufgeklärter und kritischer? Gibt es wirklich eine Alternative?
Die Parteien verlieren ihre politische Identität
Nein, die Bürgerinnen und Bürger vermissen zunehmend etwas, was ihnen die Parteien früher geben konnten: politische Autorität. Die Parteien haben sich um die Politik gebracht. Um politische Identitäten, ja auch um politische Ideologien. Es spricht überhaupt nichts dagegen, wenn die Union für Heimat, Familie und Eigentum steht, die SPD für Gerechtigkeit, Umverteilung und mehr Mitbestimmung. Die Grünen für eine gewaltfreie Basisdemokratie und die FDP für weitgehende Freiheitsrechte und Marktliberalismus.
Natürlich müssen Programme den Lebenswirklichkeiten angepasst und modernisiert werden. Aber nicht um den Preis, danach kaum mehr erkennbar und zunehmend beliebig zu sein. Kurzlebige Images, politische Gags können Parteiprogramme und stabile Identitäten nicht ersetzen. Da mögen sich Wahlkampfmanager und Spindoktoren noch so gute Marketingstrategien einfallen lassen, Orientierung können sie damit nicht geben. Wer in der Mediengesellschaft nur gefallen möchte, fällt ganz schnell durch.
Denn die digitale Mediengesellschaft hat vor allem Respekt vor solchen Politikern, die nicht nach ihrer Pfeife tanzen, sondern die selbstbewusst am Kern ihrer Politik festhalten. Mit solchen Politikern an der Spitze haben die Parteien noch jede Krise überstanden. Und es gab sie nicht nur in der Vergangenheit. Wenn bei Union und SPD jetzt lautstark nach Erneuerung gerufen wird, dann eben auch nach neuen Gesichtern. Mehr Verantwortung, mehr Orientierung, Identität und etwas mehr Autorität. Kurzum: mehr Mut zur Politik!