Seit einem Vierteljahr ringt die Evangelische Kirche in Deutschland um ihr Verhältnis zu Ehe und Familie. Ein im Juni vom Rat der EKD vorgestelltes Papier hat den größten kirchenpolitischen Streit der letzten Jahre ausgelöst. „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ – so der Untertitel der Schrift –, ist bei den Protestanten Konsens. Erbittert wird aber um die Frage gestritten: Wie hältst Du es mit der Ehe?
Auch ein wissenschaftliches Symposium am Samstag in Berlin machte klar, dass die evangelische Kirche noch vor einem längeren Klärungsprozess steht. Deutlicher als in der „Orientierungshilfe“ äußerten inzwischen die Verantwortlichen der EKD, dass für sie das Leitbild der Ehe weiterhin gültig sei, stellte der Heidelberger Theologieprofessor Wilfried Härle fest. Der Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider kündigte weitere Diskussionen an, unter anderem bei der jährlichen Tagung des Kirchenparlaments, der EKD-Synode, die im November in Düsseldorf stattfindet.
Bei der Diskussion mit Theologieprofessoren in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin bekamen die verantwortlichen Gremien der EKD weitere Aufgaben ins Stammbuch geschrieben. Der Berliner Hochschullehrer Christoph Markschies brachte es auf den Punkt: „Was verstehen wir unter Ehe und wie verhält sich das zur Familie?“ Er erwarte dazu von der EKD ein „klares Zeugnis“.
Die Arbeitsgruppe, die noch unter dem Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber für die familienpolitische Schrift eingesetzt worden war, hatte dazu keinen Auftrag. Unter der Leitung der früheren Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) war eine Orientierungshilfe entstanden, die sich vor allem mit der veränderten Lebenswirklichkeit in der deutschen Gesellschaft auseinandersetzte: Alleinerziehende, Patchwork-Familien oder auch homosexuelle Lebenspartnerschaften hatten sich in der Vergangenheit häufig von ihrer Kirche im Stich gelassen gefühlt.
Dass diese Lebensformen nun der bürgerlichen Ehe gleich gestellt worden seien, stieß vielen Protestanten allerdings auf. Der Mainzer Professor für Neues Testament, Friedrich Wilhelm Horn, stellte am Samstag fest, es sei nicht notwendig, „die Ehe abzuwerten, um eine Offenheit für andere Lebensformen zu gewinnen“.
Dem widersprach die Hamburger Hochschullehrerin Christine Gerber, Spezialistin für Geschlechterfragen in der Bibelauslegung: „Innerhalb des Neuen Testaments werden verschiedene Haltungen zur Ehe sichtbar“, meint sie. Einig waren sich die Theologieprofessoren in der Berliner Diskussion allerdings darin, dass in der Orientierungshilfe mehr Mühe auf die biblischen Bezüge hätte verwandt werden können.
Der badische evangelische Oberkirchenrat Christoph Schneider-Harpprecht hat sich für eine Ergänzung oder Neufassung des theologischen Teils ausgesprochen. Die Argumentation vermische aktuelle Diskurse mit biblischen Argumenten, schreibt der Bildungsreferent auf den Internetseiten der Landeskirche. Die zentrale familienpolitische Botschaft der Orientierungshilfe sei dagegen ein Beitrag, „der nachhaltig wirksam werden kann“. Die theologische Argumentation der Orientierungshilfe sei kurzschlüssig und stark interessengeleitet, schreibt der Theologe. Sie stelle das biblische Zeugnis zu Ehe und Familie nicht systematisch und umfassend dar und mache auch nicht klar, welchen Status Bibeltexte für sie haben. „Die Orientierungshilfe geht auf wichtige Positionen evangelischer Theologie nicht ein“, kritisiert Schneider-Harpprecht.
Die Meinung vieler Kritiker, dass das EKD-Papier ein zu starkes sozialwissenschaftliches und politisches Gewicht habe, bekräftigte der Heidelberger Professor Klaus Tanner: „Wer Sozial- und Familienpolitik machen will, begibt sich auf das Feld der Parteipolitik.“ Das Bundesverfassungsgericht habe für die Autoren des EKD-Papiers als „unhinterfragbare Autoritätsinstanz“ gegolten.
Der EKD-Ratsvorsitzende Schneider wies im Schlusswort des Berliner Symposiums darauf hin, dass von den Trägern der Karlsruher roten Roben viele Richter im Glauben verankert seien. Eine abschließende Bilanz der familienpolitischen Debatte mag derzeit in der EKD noch niemand ziehen: „Zum Ende kommen wir damit nicht, aber wir setzen Markierungspunkte.“
Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung, der an der Erarbeitung des EKD-Familienpapiers mitgewirkt hat, warb indes dafür, in Kirche und Diakonie alle Formen von Familie wertzuschätzen und seelsorgerlich zu begleiten. Dies gelte auch für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften, sagte Jung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“). Entscheidend sei die „Qualität von Beziehungen“ und nicht eine bestimmte Lebensform, sagte Jung.
Der katholische Ökumene-Bischof Gerhard Feige sagte in Magdeburg, Menschen, die ohne Trauschein zusammenleben oder homosexuell veranlagt sind, müsse die Sorge der Christen genauso gelten wie denen, die eher ihren Vorstellungen und Idealen entsprechen. Solche Verbindungen aber der Ehe gleich zu stellen oder sie gar zu fördern, sei missverstandene Toleranz.