zurück
Wer spricht für die Muslime in Deutschland?
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 02.04.2019 13:36 Uhr

Muslim ist nicht gleich Muslim. Eigentlich eine Binsenweisheit, obgleich es in diesem Land Kräfte gibt, die gerne pauschal über den Islam urteilen, erst recht ihn pauschal verurteilen. Es gibt Sunniten, Schiiten, Aleviten und die Ahmadiyya. Und die in Deutschland lebenden Muslime kommen aus der Türkei oder Nordafrika, aus dem Iran oder Arabien – Länder und Regionen, die historisch wie kulturell nur wenige Gemeinsamkeiten haben.

Diese Vielfalt erschwert den Dialog. Wer vertritt die in Deutschland lebenden Muslime? Wer hat ein Mandat, für sie zu sprechen? Einen zentralen Ansprechpartner analog zur Katholischen Bischofskonferenz oder dem Rat der Evangelischen Kirche gibt es auf muslimischer Seite nicht. Dieses Problem überschattet seit Anbeginn die Deutsche Islamkonferenz, die vor zwölf Jahren vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen und von allen seinen Nachfolgern mit mal größerer, mal geringerer Begeisterung fortgeführt wurde.

Die vier großen Verbände vertreten nicht alle Muslime

Ansprechpartner waren vor allem die vier großen Verbände: der Zentralrat der Muslime in Deutschland, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), der Islamrat und der Verband der Islamischen Kulturzentren, die 2007 den „Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland“ als gemeinsames Dach bildeten. Aber selbst diese vier Verbände konnten nie den Anspruch erheben, alle Muslime zu vertreten. Der Koordinierungsrat selbst ist bis heute weder ein eingetragener Verein noch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, womit er als Partner der Regierung entfällt.

Der neue Innenminister Horst Seehofer unternimmt nun nach längerer Pause einen neuen Anlauf, indem er die großen Verbände umgeht und das Gespräch mit Initiativen und Einzelpersonen sucht. Statt auf eine winzige Funktionärsschicht setzt der Noch-CSU-Chef auf die breiter werdende muslimische Zivilgesellschaft in Deutschland und ermuntert sie, einen Islam aus, in und für Deutschland zu schaffen.

Das ist aller Ehren wert, da die Politik damit demonstrativ jene Kräfte zu stärken versucht, die auf Integration setzen und die Religion nicht zu politischen Zwecken missbrauchen. Und doch repräsentieren auch diese Muslime nur einen kleinen Ausschnitt ihrer Religionsgemeinschaft. Ihr Einfluss endet spätestens an den Eingangstüren der Moscheen, die von Vereinen betrieben werden, die ihrerseits ihr Geld wie ihre Imame aus der Türkei oder aus Saudi-Arabien erhalten.

Wenn der Dialog ohne Folgen bleibt, dreht man sich im Kreis

Was diese meist ultrakonservativen Imame, die noch dazu kein einziges Wort Deutsch beherrschen, hinter den verschlossenen Türen predigen, hat mehr Einfluss auf die Muslime als das, was auf der Islamkonferenz besprochen wird. Insofern ist auch Seehofers Forderung an die Moscheevereine, sich von ihren ausländischen Geldquellen unabhängig zu machen, richtig – aber auch äußert schwierig zu realisieren, solange es keine vom Staat anerkannte islamische Religionsgemeinschaft gibt. Ein Teufelskreis.

Wie seine Vorgänger dürfte auch Bundesinnenminister Horst Seehofer rasch an die Grenzen der Islamkonferenz stoßen. Der Dialog ist wichtig, der Austausch ebenso. Aber wenn er ohne praktische Folgen bleibt, dreht man sich im Kreise. Der Innenminister hat weder die Befugnis noch die Mittel, den Islam nach seinen Vorstellungen zu reformieren. Es gilt das Grundrecht der Religionsfreiheit.

Veränderungen im Islam können nur durch Muslime selber kommen – wie auch das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Solange aber Länder wie die Türkei oder Saudi-Arabien glauben, als Schutzmacht der in Deutschland lebenden Muslime agieren und die Religion für politische Zwecke missbrauchen zu müssen, steht die aufgeklärte muslimische Zivilgesellschaft auf verlorenem Posten.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Martin Ferber
Evangelische Kirche
Horst Seehofer
Innenminister
Islam
Islamkonferenzen
Muslime
Religiöse Gemeinschaften
Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion
Wolfgang Schäuble
Zentralrat der Muslime in Deutschland
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top