Horst Seehofer machte nicht den Anfang; er provozierte aber in einem Interview, das er am 16. März 2018 der „Bild“-Zeitung gab, eine bis heute anhaltende Debatte. In dem Interview wird Seehofer folgende Frage gestellt: „Immer mehr Muslime suchen in Deutschland eine neue Heimat. Gehört der Islam zu Deutschland?“ Die Antwort kommt schnell und eindeutig: „Nein. Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt.“ Die Antwortpartikel „nein“ lässt keinen Interpretationsspielraum. Der darauffolgende Satz nimmt den Wortlaut der Frage auf und fügt noch die Negationspartikel „nicht“ hinzu, durch die der Restsatz zur Gänze verneint wird. Trotz dieser harschen Eindeutigkeit versucht Seehofer zu differenzieren: „Die bei uns lebenden Muslime gehören aber selbstverständlich zu Deutschland.“ Die Konjunktion aber signalisiert, dass der Sprecher – in unserem Fall Seehofer – hier einen Gegensatz sieht:
Die Angehörigen einer Religion sind etwas grundsätzlich anderes als die Religion selbst. Anders formuliert: Wenn Angehörige einer Religion zu Deutschland gehören, kann das nicht bedeuten, dass die Religion ebenfalls zu Deutschland gehört. Diese Differenzierung ist nicht leicht nachzuvollziehen, sie ist nicht plausibel und wird nicht plausibel gemacht. Seehofer begründet seine Aussage durch eine weitere Feststellung: „Deutschland ist durch das Christentum geprägt.“ Und er setzt fort: „Dazu gehören der freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten.“ Seehofer drückt damit aus, dass das Christentum Deutschland in erster Linie durch Äußerlichkeiten geprägt hat, wobei die Zusammenstellung kirchliche Feiertage und Rituale überrascht.
Wenn man das Christentum als Religion ernst nimmt, dann würde man Begriffe wie „Nächstenliebe“ oder „Menschenwürde“ erwarten und nicht Feiertage und Rituale, wobei man Ostern oder Pfingsten ohnehin nicht als Rituale bezeichnen würde. Seehofer verwendet einfach Wörter, die auf irgendeine Weise christlich klingen, ohne dass er deren Bedeutung auch nur ansatzweise durchdenkt.
Das zentrale Verbum in diesem Zusammenhang ist „gehören zu etwas“: Der Islam gehört nicht zu Deutschland; „der freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale“ gehören zum Christentum. Das Verbum „gehören“ mit der Präposition „zu“ hat die Bedeutung „in eine Gruppe, in ein größeres Ganzes einbezogen sein“ (Wahrig-Wörterbuch Deutsche Sprache) bzw. „Glied oder Teil eines Ganzen sein“ (Duden-Universalwörterbuch). Demnach ist der Islam nicht Teil Deutschlands, er ist nicht in das größere Ganze, das Deutschland heißt, einbezogen. Wohl aber sind kirchliche Feiertage und Rituale als Teile des Christentums in das größere Ganze einbezogen. Nicht aber – ich wiederhole bewusst – sind Überzeugungen und Verhaltensweisen Teil des Christentums.
Deshalb ist auch jede Rücksichtnahme auf Muslime falsch: Wir dürfen nicht „aus falscher Rücksichtnahme unsere landestypischen Traditionen und Gebräuche aufgeben“. Wiederum sind es nicht Überzeugungen, Einstellungen oder Lebensweisen, sondern „landestypische Traditionen und Gebräuche“, die das Christentum ausmachen. Zudem fällt auf, dass der Islam nur im Gegensatz zum Christentum, gewissermaßen als Negation des Christentums gesehen wird.
Seehofers Äußerungen wurden und werden kontrovers diskutiert. Sie wurden direkt und indirekt kritisiert, auch von der Bundeskanzlerin. In seiner Partei hingegen fand Seehofer weitgehende Zustimmung. Vor allem Alexander Dobrindt wirft sich mit starken Worten und gewichtiger Geste in Seehofers Bresche. In der„FAZ“-Online vom 25. 3. 2018 lesen wir als Dobrindts Meinung „Die CSU gebe der Mehrheit der Menschen eine Stimme, ,die unsere kulturellen Wurzeln und die christlich-jüdische Prägung unseres Landes auch in Zukunft erhalten wollen‘, sagte Dobrindt.“ Dobrindt äußert sich viel deutlicher und expliziter als Seehofer: Es geht auch ihm nicht um Überzeugungen, sondern um die kulturprägende Funktion des Christentums und des Judentums.
Es gehört seit einiger Zeit zum guten Ton, in diesem Zusammenhang stets von „christlich-jüdisch“ zu sprechen. Die Sprecher, die diese Addition christlich+jüdisch in den Mund nehmen, vergessen, dass das herrschende Christentum mit großer Brutalität das Judentum jahrhundertelang daran gehindert hat, kulturprägend zu wirken. Genauso sind diese „Kulturchristen“ bestrebt, den Islam daran zu hindern, kulturprägend zu wirken; das wäre eine „falsche Rücksichtnahme“.
Doch Dobrindt geht noch weiter. Laut „Spiegel“-Online vom 11. 4. 2018 „betonte“ Dobrint, „dem Islam fehle das, was für das Christentum die Aufklärung gewesen sei – mit all ihren positiven Rückwirkungen auf Glauben, Recht und gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Dobrindt scheint vergessen oder verdrängt zu haben, dass Werte und Formen des Zusammenlebens wie Religionsfreiheit oder Gleichberechtigung in christlichen Kirchen – „das Christentum“ gibt es ja auch nicht – ziemlich mühsam durchgesetzt werden musste. Dobrindt scheint, zumindest in dieser Äußerung, nur eine vage Vorstellung von Aufklärung haben. Man möchte ihm den berühmten Aufsatz „Was ist Aufklärung“ von Immanuel Kant empfehlen, in dem es heißt: „Sapere aude!“ „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Sich seinen eigenen Verstandes zu bedienen bedeutet vor allem, Normen, Regeln, Anweisungen nicht einfach als gegeben hinzunehmen, sondern immer wieder kritisch zu hinterfragen. Besonders normative Äußerungen, die auf Schlussfolgerungen beruhen, müssen auf die Einhaltung logischer Regeln überprüft werden.
Dobrindt hat als Generalsekretär seiner Partei im Oktober 2010 gesagt: „Diejenigen, die gestern gegen Kernenergie, heute gegen Stuttgart 21 demonstrieren, agitieren, die müssen sich dann auch nicht wundern, wenn sie übermorgen irgendwann ein Minarett im Garten stehen haben.“ Eine solche Äußerung demonstriert, dass die Regeln einer logischen Argumentation beim Sprecher noch nicht angekommen sind. Nur scheinbar hat diese Äußerung die Form eines Syllogismus, eines logischen Schlusses. Die ersten beiden Teile beschreiben zwei Formen von Fehlverhalten; der gute Bürger demonstriert weder gegen Kernenergie noch gegen Stuttgart 21; man fragt sich überhaupt, ob Demonstrieren zum erforderlichen Wohlverhalten eines Bürgers in einer liberalen Demokratie (Diese Regierungsform verdanken wird auch der Aufklärung.) gehört. Wenn man sich aber dem Laster des Demonstrierens hingibt, dann droht eine überaus harte Strafe: Minarette stehen im eigenen Garten. Welcher Zusammenhang zwischen den Übeltaten und der Strafe besteht, bleibt im Dunkeln verborgen.
Der eigene Garten ist ein Stück Heimat. Zu dieser Heimat gehören anscheinend keine Minarette. Der Islam bleibt etwas Fremdes und damit eine Gefahr. Dies alles wird, von Seehofer und von Dobrindt, einfach behauptet. Belege für die Wahrheit solcher Thesen werden nicht erbracht. In einer populären Einführung ins „Argumentieren“ (von A. Edmüller/T. Wilhelm. Freiburg: Haufe 2012) können wir lesen: „Glaube nicht alles, was man dir sagt. Diese Allerweltsweisheit beschreibt einen wichtigen Aspekt des logischen Argumentierens. Sind wir nämlich im Argumentieren geschult, werden wir stärker darauf achten, wie Behauptungen und Meinungen begründet werden, welche Daten herangezogen werden, um Aussagen oder Thesen zu stützen. Logisches Argumentieren macht uns zu kritischen Denkern.“ Das gehört zur Aufklärung, bei der manche Politiker, zumindest in Äußerungen über den Islam und Muslime, noch nicht angekommen sind. Foto: Martin Harth
Es wird mir ein Ansporn sein, den Finger weiter in die Wunde zu legen, denn "alles-glaub-ich-(eh-)nicht"
Lorenz Breitinger