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Wenn das Handy krank macht
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 26.04.2023 21:32 Uhr

In neun von zehn Privathaushalten wird laut Statistischem Bundesamt mit dem Handy telefoniert. Immer mehr Menschen verzichten sogar ganz auf einen Festnetzanschluss und nutzen nur noch das Handy. Ob Mobiltelefone oder Smartphones gesundheitsschädlich sind und sogar Tumoren des Gehirns auslösen können, darüber soll bei einer Tagung in Würzburg gesprochen werden. Über die Krebsgefahr durch Handys streiten Forscher seit Jahren. Professor Karl Richter, Vorsitzender der Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie, warnt vor den Folgen der wachsenden Funkbelastung für Gesundheit und Umwelt.

Frage: Wir alle wollen überall mobil telefonieren und im Internet surfen. Wie gefährlich sind technisch erzeugte elektromagnetische Felder?

Karl Richter: Elektromagnetische Felder technischen Ursprungs gehören zum Alltag der Menschen in den Industrieländern. In immer größerer Dichte und Vielfalt begleiten sie die Entwicklung der Funktechniken: mit den Sendeanlagen des Mobilfunks, Rundfunks und Fernsehens, aber auch den Handys, Schnurlostelefonen oder WLAN-Anschlüssen. Somit hat auch die Strahlenbelastung in einer Weise zugenommen, dass die Entwicklung auch in Stellungnahmen des Bund Naturschutzes, des Europarats, der Europäischen Umweltagentur oder des Schweizer Rückversicherers Swiss Re als sehr riskant und nicht zukunftsfähig beurteilt wird. Selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Handystrahlung als möglicherweise krebserregend eingestuft.

Gibt es in Deutschland überhaupt noch Flecken oder Landstriche, die nicht strahlenbelastet sind?

Richter: Es gibt schon noch Funklöcher, zum Beispiel in größeren Waldgebieten oder im Hochgebirge. Aber das sind Ausnahmen. Doch ginge es nach Staat und Industrie, soll bald jeder Quadratmeter per Mobilfunk erschlossen und erreichbar sein. Flächendeckende Breitbandanschlüsse und Hochleistungsnetze, per Funk billiger zu bewerkstelligen als per Kabel, sind eines der vornehmsten staatlichen Ziele. Dass man sensiblen Menschen, Tieren und Pflanzen damit wichtige Lebensräume nimmt, dringt kaum bis zum Bewusstsein der Verantwortlichen vor. Immerhin fangen auch Urlaubsregionen an zu begreifen, dass die Strahlenreduzierung zu den Qualitäten gehören könnte, die sie dem Erholung suchenden Menschen zu bieten haben. Gespräche in dieser Richtung hatten wir bereits mit Kommunen im Oberallgäu und in Südtirol.

Wo bin ich einer geringen und wo einer hohen Strahlenbelastung ausgesetzt?

Richter. Bei den Handys haben Sie es noch selbst in der Hand, wie weit Sie sich belasten wollen und wie weit nicht. Schwerer ist es, der Belastung durch nahe Antennenmasten oder dem Strahlenmix aus ungezählten Quellen in den Großstädten auszuweichen. Immerhin ließe sich ohne größere Einbußen an technischem Komfort viel für die Strahlenreduzierung tun, wenn es der Staat ernstlich wollte und eine vernünftige Aufklärung der Bevölkerung gebotenen Selbstschutz möglich macht.

Fehlt in Deutschland Aufklärung?

Richter: Die Industrie hat kein Interesse, realistisch über die Risiken der Strahlung aufzuklären, und unser Staat ist spätestens seit dem Verkauf der UMTS-Lizenzen so tief in ihre Geschäfte verstrickt, dass er sich die Kommunikationspolitik offenbar nicht unnötig erschweren möchte.

Wie viele Menschen leiden unter dem Elektrosmog?

Richter: Die Elektrosensiblen sind eine wachsende Gruppe der Gesellschaft. Sie bei dem verfügbaren Stand der Erkenntnis zu einer Gruppe eingebildeter Kranker abzustempeln, wie es immer wieder geschieht, ist kein Ruhmesblatt humaner Gesittung.

Bislang gab es keine Studien zu den Langzeitwirkungen des Elektrosmogs, ob mit Blick auf Krebs oder andere Erkrankungen. Haben Sie neuere Erkenntnisse?

Richter: Schon die Forschungen von Professor Karl Hecht, der über 800 russische Studien ausgewertet hat, haben gezeigt, wie deutlich die mögliche schädigende Wirkung elektromagnetischer Felder von der Dauer der Einwirkung abhängt. Professor Lennart Hardell hat jetzt mit ähnlicher Deutlichkeit gezeigt, wie weit auch die Zunahme von bösartigen Hirntumoren von der Dauer und Intensität der Nutzung von Handys und Schnurlostelefonen abhängt.

Sie sagen, Deutschland hinkt im Strahlenschutz hinterher. Warum?

Richter: Die deutsche Strahlenschutzkommission und das Bundesamt für Strahlenschutz haben gut formulierte Satzungen; Jahre hindurch haben sie auch manches an verdienstvoller Aufklärungsarbeit geleistet. Leider haben sie sich in den zurückliegenden Jahren nachweislich immer weiter von ihrem Gründungsauftrag entfernt. Ich stehe mit meiner Ansicht nicht allein, dass sie in ihrer gegenwärtigen Aufstellung geschäftliche Interessen weitaus besser schützen als Gesundheit und Umwelt.

Wie kann ich mich vor Strahlung schützen?

Richter: Sie können das Risiko bereits deutlich einschränken, wenn Sie das Handy nicht direkt ans Ohr anlegen, noch besser ein Headset nutzen, am besten aber vor allem längere Gespräche mit einem kabelgebundenen Telefon führen.

Doch von diesen Geräten gibt es immer weniger . . .

Richter: Das ist nur eines von vielen Indizien, dass der gegenwärtigen Politik die Vision einer gesundheitlich wie volkswirtschaftlich gesünderen Entwicklung, die zugleich den wachsenden Bedarf an Kapazitäten der Datenübertragung befriedigen könnte, offenbar fehlt. Die Glasfasertechnik, in deren Ausbau Industrieländer wie Schweden und Südkorea einen riesigen Vorsprung vor Deutschland haben, muss zur ebenso leistungsstarken wie gesundheitlich unbedenklichen Grundlage der Entwicklung gemacht werden. Auch die Entwicklung von Alternativen schnurloser Kommunikation – in Gestalt der Lichttechniken – ist in anderen Ländern bereits sehr viel weiter gediehen als in Deutschland.

Karl Richter

Der Literaturwissenschaftler Karl Richter hat 2007 die Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie gegründet. Sie ist eine internationale, interdisziplinäre und überparteiliche Vereinigung von Wissenschaftlern, Ärzten und Technikern. Sie engagiert sich für eine zeitgemäße Gesundheits- und Umweltpolitik vor allem auf dem Gebiet des Mobil- und Kommunikationsfunks. In Würzburg findet am Samstag, 5. April, eine öffentliche Tagung der Kompetenzinitiative statt. Es geht dabei um die Langzeitrisiken des Mobil- und Kommunikationsfunks. Die Tagung findet zwischen 11 und 18.30 Uhr auf der Festung Marienberg statt. Anmeldung und Informationen unter: www.kompetenzinitiative.net FOTO: Privat

 
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  • S. S.
    Dass sich ein Literaturprofessor hier so ausführlich zu einem Technik- und Biologiethema wie den hypothetischen gesundheitlichen Nebenwirkungen von Funkfeldern äußern darf, ist aus meiner Sicht nicht unbedingt ein Beleg für Kompetenz. Sondern eher Last-Minute-Werbung für die Veranstaltung der sogenannten Kompetenzinitiative auf der Festung Marienberg. Was Herr Richter nicht sagt: Dort darf auch ein Ex-Tabaklobbyist Angst vor Mobilfunk verbreiten - und so von den Risiken des Rauchens ablenken. Ich fände es daher gut, zu dem Reizthema "unerwünschte Nebenwirkungen des Mobilfunks" auch einmal echte Experten und keine fachfremden Quereinsteiger zu Wort kommen zu lassen. Dann sieht die Sachlage gleich ganz anders aus, nämlich undramatisch und entspannt.
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