Es wirkte wie das Menetekel des eigenen Untergangs. Ausgerechnet am islamischen Festtag der Offenbarung des Korans sprengten die Dschihadisten in Mossul den Proklamationsort ihres „Islamischen Kalifates“ in die Luft. Von der Al-Nuri-Moschee und dem schiefen Minarett, seit der islamischen Blütezeit im Mittelalter das Wahrzeichen der Stadt, blieben nur noch Rauch und Trümmer. Vor genau drei Jahren rief Abu Bakr al-Baghdadi hier seinen Gottesstaat aus, der in Mesopotamien zeitweise acht Millionen Menschen in der Hand hatte. Jetzt naht das Finale der blutigen Tyrannei im Namen Allahs. Die irakische IS-Hochburg Mossul steht vor dem Fall. Die syrische Zentrale Rakka ist von Angreifern umzingelt.
Doch Erleichterung und Aufatmen sind fehl am Platze. Weder im Irak noch in Syrien gibt es in der zusammengewürfelten Schar der nationalen und internationalen Kriegsparteien irgendeinen Konsens für die Zeit nach dem Terrorreich. Und so häufen sich die militärisch brisanten Zwischenfälle, die Anfang der Woche bis zum US-Abschuss eines syrischen Kampfjets eskalierten. Denn alle Beteiligten rüsten bereits für die nächste Runde in dem regionalen Machtpoker, bei dem auch die USA unter Donald Trump wieder kräftig mitmischen wollen.
Strategisch wichtiges Dreiländereck
In Mossul sind mehr als 5000 US-Soldaten dabei. In Rakka wird die militärische Hauptlast von den sogenannten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) getragen, die Washington seit 2015 aus arabischen und kurdischen Kämpfern aufgebaut hat. Die syrische Armee dagegen nutzt den Windschatten der Rakka-Offensive, um möglichst große Teile des ölreichen Hinterlandes um die Wüstenstädte Deir Ezzor, Mayadin und Bukamal unter ihre Kontrolle zu bringen. Denn wer dieses Dreiländereck zu Irak und Jordanien entlang des Euphrats als Erster erobert, der hat nach dem Zusammenbruch des Kalifates die beste Ausgangsposition. Präsident Bashar al-Assad spekuliert darauf, dadurch den Großteil des Landes wieder unter seine Kontrolle zu bekommen. Den Strategen in Teheran schwebt ein noch opulenteres Machtszenario vor. Sie wollen einen schiitischen Halbmond zementieren, der vom Iran, über Irak und Syrien bis in den Libanon reicht. Die Vereinigten Staaten könnten diese Hegemoniepläne Irans nur durchkreuzen, wenn sie militärisch weitaus stärker als bisher in Syrien auftreten. Das birgt das Risiko einer unkalkulierbaren Eskalation.
Berichte über Gräueltaten schiitischer Milizen
Die kurdisch dominierten US-Verbündeten müssten nach Rakka auch die Stadt Deir Ezzor erobern und damit Hunderte von Kilometern tief in arabischen Stammesgebieten operieren. Washington aber geriete dadurch fast unweigerlich in eine direkte Konfrontation mit Damaskus, Teheran und Moskau.
Ähnlich verworren ist das Szenario auch auf der irakischen Seite. Hier schaffen die vom Iran gesteuerten Milizen ebenfalls längst Fakten in ihrem Sinne. Auch auf diesem Teil des Schlachtfeldes ist das Misstrauen allerorten – zwischen Schiiten und Sunniten, zwischen christlichen und sunnitischen Arabern, zwischen Kurden und Schiiten. Unter anderem häufen sich die Berichte über Gräueltaten schiitischer Milizen an der sunnitischen Bevölkerung, die pauschal als IS-Sympathisanten verdächtigt wird. Obendrein kündigten die nordirakischen Kurden mitten in den Mossul-Feldzug hinein ein Unabhängigkeitsreferendum an, mit dem sie sich zusätzlich die ölreiche Stadt Kirkuk und Teile der Ninive-Ebene einverleiben möchten. Entsprechend verdunkeln immer mehr Schatten das ersehnte Licht am Ende des IS-Tunnels. Die Schlachten von Mossul und Rakka werden die Terrormiliz in absehbarer Zeit zur militärischen Kapitulation zwingen. Aber der Kampf um die Hinterlassenschaften des „Islamischen Kalifates“ könnte dann erst richtig losgehen.