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Was ist nur mit der Demokratie los?
Das Gespräch führte Dieter Löffler
 |  aktualisiert: 29.06.2016 03:31 Uhr

Frage: Erdogan, Putin, selbst die Philippinen haben jetzt einen autokratischen Präsidenten gewählt. Müssen wir uns Sorgen machen, dass das Modell der Demokratie auf die Liste der aussterbenden Arten gerät?

Herfried Münkler: Eine aussterbende Art ist die Demokratie sicher nicht. Aber die Erwartungen von 1989/90, dass die Demokratie jetzt alternativlos sei und das Ende der Geschichte erreicht sei, wie Francis Fukuyama es damals gesagt hat, waren eine übertriebene Hoffnung. Was wir beobachten können, ist das, was wir in der Geschichte immer beobachten können, nämlich ein Auf und Ab – mal mehr Demokratie, mal ein Rückschwung in die autoritäre Herrschaft. In diesem Sinn haben wir es heute mit rechts-, aber auch linkspopulistischen Führern zu tun, die mit entsprechenden Formeln auftreten.

Oft werden autokratische Machthaber ja sogar vom Volk gewählt. Wie kommt es dazu?

Münkler: Dafür gibt es sehr unterschiedliche Gründe. Generell stehen wir vor der Situation, dass sich das, was man über 30, 40 Jahre als stabile gesellschaftliche Mitte beschreiben konnte, auflöst. Auf der einen Seite gibt es einen Prozess der Prekarisierung, während ein paar Wenige sehr reich werden. Zugleich gibt ein verbreitetes Empfinden, sozial bedroht zu sein. Das führt zu der Vorstellung, man brauche einen starken Mann, der einen schützt – hier geht es um Angst und Schutzbedürftigkeit. Schließlich wollen viele nicht mehr so sehr in großräumliche Ordnungen investieren, sondern zurück zur herkömmlichen Form des Nationalstaates mit seinen Überschaubarkeiten, das heißt, sie lehnen eine politische Großraumordnung wie die EU ab.

Populismus lässt sich fast überall beobachten. Was bedeutet das Wort eigentlich? Es steckt ja das Wort „Volk“ darin. Was ist schlimm daran?

Münkler: „Volk“ ist ein schwieriger Begriff. Der griechischen Wortherkunft nach bezeichnet er eine gemeinsame Abstammung, aber auch „Versammlung von Gleichberechtigten“. In diesem Fall aber ist „Volk“ der Begriff für diejenigen, die der Unter- und Mittelschicht angehören – früher hätte man gesagt, dem Kleinbürgertum. Sie erheben den Anspruch, sie seien doch das Volk, und verbinden das mit einer ausgesprochenen Aversion gegen das, was aus ihrer Sicht die Eliten sind. Der Gestus ist überall derselbe: Wenn wir das Sagen hätten, wäre alles gut. Die da oben bedienen nur ihre eigenen Interessen. Populismus ist eine Beschreibung, die sehr viel einfacher ist als die tatsächliche Welt mit ihren komplexen Verflechtungen. Er bringt ein Unbehagen an der Welt zum Ausdruck und ist die vorlaute Behauptung, es sei alles viel einfacher, wenn man das Volk, also die, die sich dafür halten oder dazu erklären, handeln lasse.

Diese Einstellung gibt es nicht nur am rechten Rand.

Münkler: Natürlich nicht, es gibt auch Linkspopulismus. In mancher Hinsicht war und ist die bankenkritische Occupy-Bewegung eine linkspopulistische Bewegung. Ähnliches sieht man in Griechenland, Spanien und in anderen Ländern. Auch bei uns gibt es Linkspopulisten, schauen Sie nur mal auf Sahra Wagenknecht und die Linkspartei.

Wie anfällig ist Deutschland für populistische Parteien?

Münkler: Was die alten Bundesländer betrifft, wird sich die AfD auf längere Sicht schwerlich bei 15 Prozent behaupten können. Schon jetzt wird die Frage laut: Was machen sie denn? Das Einsammeln des Unbehagens, wenn das Volk „sein Bäuerchen macht“, ist das eine. Die Arbeit in den Parlamenten und der Nachweis, dass man etwas bewirkt, ist das andere. In den neuen Bundesländern ist die Situation schwieriger. Vielen Menschen steckt dort noch die Erfahrung von vor 25 Jahren in den Knochen. Sie haben das Gefühl, das haben alles die „verfluchten Eliten“ gemacht, denen zeigen wir jetzt mal, was ‘ne Harke ist. Deshalb hat man dort auch eine sehr starke Wanderung von linken Wählern zur AfD.

Wie stabil ist die Demokratie denn in Deutschland? Laut einer Allensbach-Studie denkt inzwischen jeder zweite Bundesbürger verächtlich über Politiker.

Münkler: Das ist tatsächlich ein Problem der parlamentarischen Demokratie: Auf der einen Seite immer weniger Bereitschaft, den harten Job eines Politikers auf sich zu nehmen, und auf der anderen Seite dieses Misstrauen bis hin zur Verachtung. Dass die politische Klasse ein so schlechtes Image hat, hat sicherlich auch mit den Talkshows zu tun, die Veranstaltungen zur „Entzauberung“ der Politik sind, während das Parlament bei der Debatte einen würdigen, einen erhabenen Rahmen dargestellt hat. Wir müssen uns also auf eine Stabilität der parlamentarischen Demokratie ohne großen Respekt vor der politischen Klasse einstellen.

Welchen Anteil an diesem Vertrauensverlust hat die Flüchtlingskrise?

Münkler: Einen erheblichen. Ich denke schon, dass Berlin die Entscheidung so treffen musste. Aber Merkel hätte über das Wir-schaffen-das hinaus sagen müssen, wie wir das schaffen. Die Schwierigkeiten und Risiken, aber auch die Chancen wurden nicht wirklich kommuniziert. CDU und SPD hatten Schiss – die SPD, dass ihr die letzten Reste des Kleinbürgertums auch noch weglaufen, die CDU davor, dass sich der nationalkonservative Flügel davonmacht. Deshalb hat man nur das Humanitäre der Flüchtlingshilfe kommuniziert und gehofft, dass das Ganze schnell über die Bühne geht. Das war falsch.

Falls die Briten für den Brexit stimmen sollten: Ist das der Anfang vom Ende der Europäischen Union?

Münkler: Das kann man noch nicht sagen. Aber ein britischer Austritt wird die EU dramatisch verändern. Und er wird Deutschland in eine schwierige Situation bringen, weil es dann mit den sehr viel stärker staatszentrierten Franzosen, Italienern und Spaniern allein ist. Und weil dann ein Nettozahler fehlt.

Wird es ein Zurück zu einem Kern-Europa geben?

Münkler: Sollten die Briten in der EU bleiben, bleiben sie zu den Sonderbedingungen, die ihnen eingeräumt worden sind. Die wollen andere dann natürlich auch haben. Das wird zu einem Prozess führen, bei dem man relativ bald so etwas wie ein Kern-Europa sehen wird.

Die Vereinigten Staaten von Europa sind gescheitert?

Münkler: Dieses Projekt müssen wir uns für diese und die nächste Generation abschminken.

Herfried Münkler

Der 64-Jährige lehrt als Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin. Er wird zu den führenden Wissenschaftlern seines Fachs in Deutschland gezählt und tritt regelmäßig mit Beiträgen in Fernsehen, Rundfunk und Presse an die Öffentlichkeit. Mehrere seiner Bücher gelten mittlerweile als Standardwerke, etwa „Die neuen Kriege“ (2002), „Imperien“ (2005), „Die Deutschen und ihre Mythen“ (2009), das mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, und „Der Große Krieg“ (2013), das monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste stand. Im August erscheint im Rowohlt Verlag sein neues Buch „Die neuen Deutschen“, das er gemeinsam mit seiner Frau Marina Münkler verfasst hat. SK/di

 
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