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BERLIN
Was hat im Geheimen stattgefunden?
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 22.10.2015 03:27 Uhr

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, äußert sich zum Verhalten des Einzelnen in der Diktatur, zur „Ostalgie“ der ehemaligen DDR-Bürger und erklärt, warum das Interesse an den Stasi-Akten nach wie vor so groß ist.

Frage: Für viele Menschen gerade in der alten Bundesrepublik gibt es 25 Jahre nach der Wiedervereinigung eine einfache Gleichung: DDR ist Stasi. Wie erklären Sie sich diese Dominanz der Stasi im öffentlichen Bewusstsein?

Roland Jahn: Die Menschen haben ein großes Interesse an dem Thema, weil sie erfahren wollen: Was hat stattgefunden im Geheimen? Es übt eine gewisse Faszination aus, die Dinge aus dem Dunklen ans Licht zu ziehen. Und es geht um die Fragen: Wie gehen Menschen miteinander um? Warum sind sie bereit, ihre Mitmenschen zu verraten? Das Bedürfnis, das zu wissen, hat dazu geführt, dass das Thema Stasi auf großes Interesse gestoßen ist. Wichtig ist es, den Fokus nicht allein auf die Staatssicherheit zu legen.

Damals sorgte vor allem die Enttarnung prominenter Inoffizieller Mitarbeiter für dicke Schlagzeilen, während die eigentlichen Stasi-Methoden der Repression und Unterdrückung eher im Hintergrund blieben. Hat sich dieser Blick in der Zwischenzeit geändert?

Jahn: Ja. Wir haben Erkenntnisse gewonnen, wie der Apparat funktioniert hat. Vor allem ist deutlich geworden, dass es kein anonymer Apparat war, sondern konkret handelnde Menschen, die auch Verantwortung für ihr Tun tragen.

Die SED hat im Wendejahr 1989/90 ihre Verantwortung für die menschenverachtenden Gräueltaten in der DDR auf die Stasi abgeschoben und sich so reingewaschen. Wie konnte diese Taktik aufgehen?

Jahn: Das ist ein Phänomen, das nur schwer zu verstehen ist. Der SED und ihren Nachfolgern, der PDS und der Linkspartei, ist es gelungen, dass manch ehemaliger DDR-Bürger die berechtigte Kritik am System in der DDR auf sich und sein Leben bezieht. Gleichzeitig hat sich die Partei zur Interessenvertreterin der Ostdeutschen aufgespielt. Dabei vertritt die Linkspartei nur eine Minderheit der Menschen im Osten. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass man sehr wohl das System kritisiert und die DDR als das benennt, was sie war, nämlich ein Unrechtsstaat, und doch Respekt hat vor der Würde und den Biografien der Menschen.

Sie konnten es sich nicht aussuchen, in welchem Teil Deutschlands sie leben durften. Sie haben versucht, mit den Verhältnissen zurechtzukommen und das Beste daraus zu machen.

Das ist die alte Frage nach dem richtigen Leben im falschen Leben…

Jahn: Vor dieser alten Frage steht jeder Einzelne. Jeder muss für sich beantworten, wie er sich in dem Zwangssystem einer Diktatur verhält, wie viel Anpassung, wie viel Widerspruch er leistet.

Haben Sie Verständnis für die sogenannte Ostalgie der DDR-Bürger?

Jahn: Wenn sich die Menschen an schöne Zeiten zurückerinnern, die sie in diesem Land erlebt haben, an die Jugend, an die erste Liebe, dann hat das nichts mit Nostalgie mit dem DDR-System zu tun, sondern ist etwas ganz Normales. Ich weiß genau, was ich an Negativem in der DDR erlebt habe. Und trotzdem erinnere ich mich gerne an meine Zeit in der DDR zurück. Da gab es viele schöne Erlebnisse. Es war schön, nicht wegen des Staates, sondern trotz des Staates.

Auch nach einem Vierteljahrhundert ist die Zahl der Anträge auf Akteneinsicht sehr hoch. Wie erklären Sie sich dieses anhaltende Interesse an den Stasi-Akten?

Jahn: Es geht um unsere gemeinsame Geschichte. Die Menschen setzen sich mit ihrer Biografie auseinander, gleichzeitig findet ein Dialog mit der nächsten Generation statt. Junge Menschen, die die DDR nicht mehr erlebt haben, stellen ihren Eltern und Großeltern Fragen, wollen wissen, wie das Leben im geteilten Deutschland war. Und bei dieser Beschäftigung mit der eigenen Biografie hilft der Blick in die Stasi-Akten.

Stellt die junge Generation, die nach der Wende geboren wurde, andere Fragen als diejenigen, die die DDR noch erlebt haben?

Jahn: Die Jugendlichen setzen ihr eigenes Leben in Bezug zu dem, was ihre Eltern und Großeltern in der Vergangenheit erlebt haben. Fragen wie – Ordne ich mich unter? Passe ich mich an? Leiste ich Widerstand? – bewegen auch die jungen Menschen von heute, erst recht aktuelle Fragen wie Datensicherheit im Internet oder Menschenrechtsverletzungen. Da kann die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte helfen, die Sinne zu schärfen.

Die Stasi-Unterlagenbehörde hat von Anfang an auch auf die wissenschaftliche Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit gesetzt. Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Erkenntnis dieser Arbeit nach 25 Jahren?

Jahn: Vor allem, dass es richtig war, die geheimen Akten zu öffnen, um sie für die Erforschung und Aufarbeitung der Herrschaftsmechanismen zu nutzen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es 1989/90 die Debatte gab, ob man die Akten vernichtet, für 30 Jahre wegsperrt oder öffnet.

Die führenden Repräsentanten des Staates, Bundespräsident und Bundeskanzlerin, sind ehemalige DDR-Bürger aus dem Dunstkreis der Kirche – Joachim Gauck war Pastor, ebenso der Vater von Angela Merkel. Ist das Zufall – oder am Ende doch der Sieg der Zivilgesellschaft über die staatliche Repression?

Jahn: Hier sind zwei Menschen ihren Weg gegangen, die die neuen Freiheiten genutzt haben. Es war der Geist der friedlichen Revolution in der DDR, der es möglich machte, dass sie diesen Weg gehen konnten. Der Mauerfall war kein Zufall, war auch kein Geschenk der damaligen Bundesregierung, sondern etwas, das die Menschen selber errungen haben, weil sie ihr Schicksal in die Hand genommen haben.

Roland Jahn

Am 14. Juli 1953 wurde Roland Jahn in Jena geboren. Nach dem Abitur und dem Wehrdienst studierte er ab 1975 Wirtschaftswissenschaften in Jena. Nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann 1976 begann Jahn sich in der DDR-Oppositionsbewegung zu engagieren. 1977 wurde er der Uni verwiesen. Dies hielt ihn nicht davon ab, weiter gegen das SED-Regime zu protestierten. Mehrfach wurde er festgenommen und verhört, 1982 wurde er zu 22 Monaten Haft verurteilt, kam aber nach internationalen Protesten wieder frei. 1983 gehörte er zu den Mitbegründern der Friedensgemeinschaft Jena. Als Folge wurde Jahn am 8. Juni 1983 gegen seinen Willen aus der DDR ausgebürgert und in die Bundesrepublik abgeschoben. Als freier Journalist berichtete er für die ARD und die „taz“ über die Aktivitäten der DDR-Opposition. Ab 1991 arbeitete er als Redakteur für das ARD-Magazin „Kontraste“. Am 28. Januar 2011 wurde Jahn vom Bundestag zum Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gewählt. Er folgte damit auf Joachim Gauck und Marianne Birthler. Foto: dpa

 
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