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Würzburg
Warum wir die Nationalität von Verdächtigen oft nicht nennen
Leser haben Anspruch auf umfassende Informationen. Wann aber sollen Medien über die nähere Identität und vor allem Nationalität eines mutmaßlichen Täters berichten? 
Im Frankfurter Hauptbahnhof stieß ein 40-Jähriger Ende Juli eine Mutter und ihren achtjährigen Sohn vor einen einfahrenden Zug.
Foto: Frank Rumpenhorst | Im Frankfurter Hauptbahnhof stieß ein 40-Jähriger Ende Juli eine Mutter und ihren achtjährigen Sohn vor einen einfahrenden Zug.
Michael Reinhard
Michael Reinhard
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:27 Uhr

Wann sollen Medien die Nationalität von Kriminellen erwähnen? Diese Frage beschäftigt Redaktionen immer wieder. Erst jüngst haben zwei spektakuläre Straftaten uns vor die schwierige Entscheidung gestellt: Herkunft nennen oder nicht?

Im Frankfurter Hauptbahnhof hat ein 40-jähriger Mann Ende Juli eine Mutter und ihren achtjährigen Sohn vor einen einfahrenden Zug gestoßen. Der Junge wurde überrollt und getötet. Die Frau konnte sich gerade noch in Sicherheit bringen. Nicht nur in Deutschland hat diese unfassbare Tat die Menschen entsetzt.

In Stuttgart wurde ein 36-Jähriger öffentlich regelrecht hingerichtet. Der Täter stach mehrfach mit einem Schwert zu.

Was sind das für Menschen, die zu derart grausamen Taten fähig sind? Wie weit geht der Anspruch der Öffentlichkeit, Details über die Beschuldigten zu erfahren? Steht ihre Herkunft in einem konkreten Zusammenhang mit dem Verbrechen? Nennen wir also die Nationalität der mutmaßlichen Täter oder nicht? Wir haben uns in beiden Fällen entschieden, die Staatsangehörigkeit der Tatverdächtigen zu nennen, da unserer Auffassung nach ein begründetes öffentliches Interesse vorgelegen hat.

Was sagt der Pressekodex?

Richtschnur für die Entscheidungen dieser Redaktion sind die journalistischen Leitlinien der Mediengruppe Main-Post. Sie orientieren sich am Pressekodex. Diese journalistisch-ethischen Grundregeln hat der Deutsche Presserat verfasst. Diesem Verein gehören die meisten Zeitungsverlage in Deutschland an.

Die Richtlinien des Pressekodex beschäftigen sich unter anderem mit der Frage, wann die ethnische oder religiöse Identität eines Tatverdächtigen genannt werden kann. Unter Punkt 12.1. heißt es dazu: „In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

Wann liegt ein begründetes öffentliches Interesse vor?

Doch was genau ist ein „begründetes öffentliches Interesse“? Gemäß den Leitsätzen des Presserates kann dies ein „schwerwiegendes Verbrechen“ sein oder auch „die Existenz eines Haftbefehls“. Dann werde polizeilich nach jemandem gesucht, „und dann kann die Presse darüber berichten“.

Unstrittig ist: Pure Neugier reicht als Begründung nicht aus, die Nationalität eines Verdächtigen zu nennen. Genauso wenig  wie „Vermutungen über den Zusammenhang der Gruppenzugehörigkeit und der Tat“. Auch wenn die Polizei die Nationalität erwähnt, entbindet das die Redaktionen laut Pressekodex-Leitlinien nicht von ihrer eigenen presseethischen Verantwortung.

Welche Rolle spielt die Polizei?

Für die Polizei gilt der Pressekodex nicht. Die Pressestellen nennen daher häufig die nationale Herkunft von Verdächtigen - ungeachtet der Frage, ob ein ausreichendes öffentliches Interesse im Sinne des Presserates vorliegt.

Das nordrhein-westfälische Innenministerium hat jetzt mitgeteilt, künftig die Nationalität aller Tatverdächtigen nennen zu wollen, wenn diese zweifelsfrei feststehe. Innenminister Herbert Reul (CDU) begründet die angekündigte Vorgehensweise mit seiner "festen Überzeugung, dass diese Transparenz das beste Mittel gegen politische Bauernfängerei ist”.

Der Deutsche Presserat begrüßt, „dass die Polizei der Presse die Information über die Nationalität von Tatverdächtigen zur Verfügung stellt”. Presseratssprecher Volker Stennei macht aber deutlich: „Die Entscheidung, ob die Nationalität für die Berichterstattung relevant ist, muss jede ethisch gebundene Redaktion sorgsam selbst abwägen und treffen. Das kann und darf keine Behörde entscheiden.”

Dort, wo die Polizei sich direkt an die Bevölkerung wende, sei es ihre ethische Verantwortung, mögliche Folgen zu bewerten. „Das ist nicht Aufgabe des Deutschen Presserates”, betonte Stennei.

Wieso stecken Journalisten in einem Dilemma?

Journalisten geraten nicht selten in ein Dilemma, wenn Polizeipressestellen die Herkunft eines mutmaßlichen Täters öffentlich mitteilen - beispielsweise in den sozialen Netzwerken. Würde unsere Redaktion sich dem ohne überzeugende Begründung anschließen, widerspräche dies nicht nur unserem ethischen Selbstverständnis und der Richtlinie 12.1. des Pressekodex. Zugleich wäre es Wasser auf die Mühlen jener Leser, die darin berechtigterweise eine Diskriminierung sähen und sich deshalb mit einer Beschwerde an den Deutschen Presserat wenden.  Teilen wir das Herkunftsland eines Verdächtigen nicht mit, sehen wir uns indes mit dem Vorwurf konfrontiert, dem mündigen Leser Informationen vorzuenthalten. Dies wiederum schadet unsere Glaubwürdigkeit. 

Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass es auch in Zukunft ein Balanceakt für uns bedeuten wird, einerseits die Leserinnen und Leser so umfassend wie möglich über Verbrechen zu informieren. Und andererseits nicht dazu beizutragen, dass eine Gruppe von Menschen durch einen Einzelfall pauschal diskriminiert wird.

 
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Kommentare
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  • MP4all
    Und ja, ich möchte schon wissen, WER in diesem Land WO und WAS macht. Und ich habe eher kein Verständnis dafür, das gerade wenn unsere "Gäste" an irgendwas beteiligt waren, diese Informationen der Öffentlichkeit gerne vorenthalten werden. Sonst wird über jeden Sch.... berichtet, aber wenn´s interessant wird, ham wir auf einmal Pressekodex und ein schlechtes Gewissen ....
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  • Unterfrank
    Also deiner Oma stimme ich zu. Aber mit deiner Bemerkung dazu würdest du es nicht bis zu meiner Traumfrau bringen. Das gilt übrigends auch für mausi.
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  • Unterfrank
    Ich finde, die MP sollte sehr wohl weiterhin abwägen, ob nähere Angaben wie Herkunft, Religion, Staatsangehörigkeit etc. genannt werden. Es gibt schon genug sog. ungefilterte Berichte in den Sensationsmedien oder soz. Netzwerken die zur Stimmungsmache zu Lasten Anderer missbraucht werden.
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  • Helmut_Faul_HF2017
    Im Zuge der gewaltigen Einwanderungswelle von 2015 hatten Kritiker und Mahner einen Anstieg der Kriminalität befürchtet und vorausgesagt. Und genau das ist auch eingetreten:

    https://www.achgut.com/artikel/auslaender_kriminalitaet_auf_der_spur_der_jungmaenner_phrase

    Unsere "Qualitätsmedien" haben leider viel zu lange beschönigt vertuscht und relativiert. Höchste Zeit, dass endlich Fakten auf den Tisch kommen. Ross und Reiter müssen genannt werden. Der mündige Bürger hat ein Recht darauf.
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  • Michael_Reinhard
    Seit 2017 ist bei den „Straftaten insgesamt“ ein Rückgang zu verzeichnen. Im Berichtsjahr 2018 wurden bundesweit insgesamt 5.555.520 Fälle registriert und somit ein Rückgang von –3,6 % verzeichnet. Eine vergleichbar geringe Anzahl erfasster Fälle wurde letztmalig im Berichtsjahr 1992 ausgewiesen. Von 2014 bis 2016 lag die Anzahl jeweils über 6 Millionen. So steht es in der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik des Bundesinnenministeriums.
    https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/pks-2018.pdf?__blob=publicationFile&v=3
    Michael Reinhard
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  • mausschanze
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  • Helmut_Faul_HF2017
    Dann machen Sie (oder ihre Mitarbeiter) sich mal die Mühe und differenzieren Sie nach Herkunft der Täter und setzen das ganze dann ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Gruppe. Die Ergebnisse sind mehr als eindeutig. Menschen aus bestimmten Herkunftsländern sind um ein Vielfaches krimineller als Deutsche, auch wenn man noch nach Alter und Geschlecht unterteilt (siehe mein Link).
    Ich sage Ihnen warum sie eine genauere Analyse geflissentlich unterlassen: Weil das Ergebnis politisch nicht gewollt ist. Weil dann auch der letzte merken würde, dass seit 2015 kein Friede-Freude-Eierkuchen herrscht.
    "Es kann nicht sein, was nicht sein darf", scheint das Leitmotto der Medien zu sein.
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  • TLW-tu_W
    Herr Faul, werden Sie es nochmal verstehen, dass auch Ausländer die nicht in Deutschland wohnhaft sind Straftaten in Deutschland verüben? (so wie in Frankfurt)
    Und mit Ihrem Gedankenspiel treiben genau diese Ausländer "auf durchreise" die Kriminalitätsrate der hier lebenden hoch?

    Wo ist da die Logik?

    Es steht explizit in der PKS drin, das solch ein vergleich NICHT gezogen werden kann.
    Wer die Zahlen dennoch bewusst so verzerrent "vergleicht" macht das mit Absicht um Stimmung zu verbreiten, die die Realität nicht hergibt.
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  • Albatros
    @ard, man sollte diese Statistik aber auch richtig deuten. Gesamt betrachtet sind die Straftaten rückläufig, allerdings gerade im Bereich von Tötungs- und Sexualdelikten sind die Straftaten markant gestiegen. Statistik ist nicht gleich Statistik, man sollte schon ein wenig tiefer einsteigen.
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  • traumfrau
    Ein Spruch meiner Oma war: "Ehrlich währt am längsten!"

    Würden sich doch auch Journalisten ohne Verschweigen, Verschleiern, ggf. sogar "Verdrehen" daran halten, es gäbe keine Spekulationen und Vermutungen!
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  • rft
    Es ist einfacher, kritisch zu sein als korrekt.
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  • waldtom1
    Ich denke, dass mündige Bürger ein recht auf alle Fakten haben. Es soll keine Vorzensur der Informationen von Seite der Medien stattfinden!
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  • Michael_Reinhard
    Es liegt uns fern, eine Vorzensur zu praktizieren. Aber wie im Leitartikel dargelegt, haben wir für unsere Berichterstattung ethische Standards. Und die sind wichtig, um Menschen nicht vorzuverurteilen. Würde man in jedem Bericht über Straftaten grundsätzlich die Nationalität nennen, wäre die Gefahr sehr groß, dass dies eine diskriminierende Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens darstellt. Genau das wollen wir vermeiden. Aber wir sind uns, wie aus meinem obigen Text hervorgeht, natürlich bewusst, dass wir uns dabei stets auf einem schmalen Grat bewegen. Einerseits wollen wir unsere Leserinnen und Leser so umfassend wie möglich über Verbrechen informieren. Und andererseits aber nicht dazu beitragen, dass eine Gruppe von Menschen durch einen Einzelfall pauschal diskriminiert wird.
    Michael Reinhard
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  • Michael Fischer
    Wenn ein Deutscher einen Ausländer geschädigt hat wird dies auch weit und breit veröffentlicht. Lichterketten und alles andere in Bewegung gesetzt. Anders herum sollte bisher die Bevölkerung dies nicht wissen.
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  • Einwohner
    Manchmal wird mit der zwingenden Nennung von Fakten argumentiert, bei nächster Gelegenheit lässt man sie dann weg und hat natürlich auch dafür wieder Argumente.
    Die Nennung der Herkunft macht natürlich die Tat nicht ungeschehen und verringert auch nicht das Leid der Opfer, aber man sollte der Bevölkerung, basierend auf eben diesen Fakten, schon zutrauen sich ein Bild von den Vorgängen zu machen. Und wenn sich dann eben gewisse Taten bei gewissen Herkunftsländern häufen, dann sind und bleiben das Fakten und dann hat das nichts mit Rassismus, Rechts oder sonst was zu tun.
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  • simonhard
    Pressekodex, Leitlinien, usw..bla, bla,bla
    Ich möchte bei einem Ereignis einfach ALLE Fakten wissen. In unserer heutigen Zeit läst sich eh nichts mehr geheim halten. Jede Form von Zensur erinnert an totalitäre Staaten.
    Wenn sich ein paar Idioten an der Nationalität oder Ethnie des Täters stören, sollen sie doch.
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  • rolfstein
    Ich stimme dem zu: Entweder geht man als Redaktion davon aus, daß es mündige Bürger sind, die mit den entsprechenden Informationen umgehen können oder man enthält wichtige Informationen vor und begibt sich in den Bereich der Zensur und wird als Medium der sog. "Lügenpresse" zugeordnet und nicht mehr ernst genommen. Denn es gilt immer noch "wer einmal lügt (oder Wichtiges einfach wegläßt), dem glaubt man nicht (mehr)".
    Und das die Nationalität und damit oft verbundene religiöse Ausrichtung durchaus eine Rolle spielt, ist an etlichen Vorfällen deutlich geworden, z.B. Kölner Sylvesterabend oder kürzlich in einem Düsseldorfer Freibad. Wenn die Herkunft einer Person (und auch deren Religion) explizit eine Wertehaltung und in der Folge eine inakzeptable Verhaltensweise begründet, dann MUSS dies auch gesagt werden, um die Entwicklungen innerhalb einer Gesellschaft für einen Leser abzubilden. Ansonsten ist das jeweilige Medium obsolet.
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