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Warum es der Frieden im Nahen Osten so schwer hat
Das Gespräch führte Till Hofmann
 |  aktualisiert: 02.04.2019 10:07 Uhr

Obwohl er vor 19 Jahren seinen Dienst als israelischer Botschafter in Deutschland beendet hat, ist Avi Primor eine der profiliertesten Stimmen seines Landes geblieben. Das liegt auch an den kritischen Tönen gegenüber der eigenen Regierung. Primor war von 1993 bis 1999 Botschafter Israels in Deutschland – seine letzte Station im diplomatischen Dienst. Heute lebt der 83-Jährige in Tel Aviv.

Frage: Werden Sie es noch erleben, dass es im Nahen Osten Frieden gibt?

Avi Primor: Das ist die entscheidende Frage. Wir leben im Kriegszustand seit unserer Unabhängigkeit vor 70 Jahren. Viele Jahre konnten wir keinen Frieden haben, weil unsere Nachbarn die Existenz eines jüdischen Staates nicht hinnehmen wollten. Nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 kam noch einer und noch einer. Ägypten hat mit uns inzwischen Frieden geschlossen, Jordanien hat mit uns Frieden geschlossen, die Golf-Staaten – zwar nicht offiziell, aber in der Tat. Auf der anderen Seite haben auch wir einen Teil Palästinas erobert, den Teil, der nach 1948 Teil Jordaniens geworden ist. Wir herrschen dort bis heute. Dort leben Millionen Palästinenser – ohne Wahlberechtigung und unter militärischer Besatzung. Die Araber Palästinas, die 1948 bei uns blieben, sind israelische Bürger geworden. Das waren damals 150 000 und sind heute eineinhalb Millionen. Ob sie mit der israelischen Staatsbürgerschaft glücklich sind oder nicht, ist eine andere Frage. Ich glaube, dass sie nicht sehr glücklich sein können, solange es keinen Frieden mit den arabischen Nachbarn gibt. Aber: Sie können alles tun und können fast überall arbeiten.

Was verhindert den Frieden heute?

Primor: Seitdem wir das Westjordanland erobert haben, das ist jetzt über 50 Jahre her, waren wir nicht mehr bereit, einen echten und akzeptablen Kompromiss mit unseren Nachbarn zu schließen.

Was wäre ein echtes Zugeständnis?

Primor: Auf das Westjordanland zu verzichten. Vielleicht auch, den Gaza-Streifen anders zu behandeln. Das zweite kann kommen, weil wir dort nicht mehr sitzen.

Mit wem müsste man den Kompromiss bezüglich des Westjordanlandes schließen?

Primor: Anfänglich waren es die Jordanier, mit denen haben wir auch verhandelt. Aber ich muss sagen, dass wir nicht offen genug waren, weil es sehr viel Druck bei uns gab, das Land nicht zurückzugeben aus historischen, religiösen und nationalistischen Gründen. Dann kam die Siedlungsbewegung dazu, also ist es noch schwieriger geworden. Schließlich verlor der jordanische König das Interesse an dem Land, das er nicht mehr hatte – und verwies uns an die Palästinenser, die dort einen Palästinenserstaat gründen wollten. Tatsache ist: Wir haben auch diese Verhandlungen fast nie ehrlich geführt. Ehud Olmert hat ehrlich mit den Palästinensern verhandelt, Izchak Rabin und Simon Peres haben es begonnen. Aber dann kam der Likud an die Macht. Und bei denen ging es überhaupt nicht.

Hat der aktuelle Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kein Interesse?

Primor: Ich erzähle eine Geschichte, die ist jetzt in einem Buch über Netanjahu veröffentlicht worden, das in Israel ein Bestseller ist. Der Premierminister kommt insgesamt nicht gut weg. Der Autor schreibt da etwas über mich: Netanjahu kam nach Deutschland, als ich dort Botschafter war. Er war während meiner Zeit zwischen 1993 und 1999 viermal in Bonn. Über was ich berichte, ist ein Gespräch Netanjahus mit Bundeskanzler Kohl. Ich war dabei, habe übersetzt. Und ein paar Stunden später hat mich ein Führer der israelischen Opposition angerufen und gefragt, wie das Gespräch verlaufen sei. Ich habe geantwortet: „Hätte ich meine Augen geschlossen und nicht gewusst, wer da spricht, hätte man meinen können, Du seist es gewesen.“ Damit will ich Netanjahus Handlungsprinzip verdeutlichen: Im Ausland sagt er jedem Gesprächspartner das, was er meint, das dieser Partner hören möchte. Deshalb sind ja auch viele Politiker in der Welt von ihm begeistert: „Er ist doch vernünftig, er ist doch kompromissbereit“, sagen sie. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass er es überhaupt nicht im Sinn hat. Und heute kann er seine Position auch durchsetzen.

Warum?

Primor: Er führt eine Koalition, wie wir sie noch nie in der Geschichte Israels hatten – mit dem ganzen rechten Lager einschließlich des extrem-rechten Lagers, einschließlich der Ultraorthodoxen. Die meisten Israelis wären kompromissbereit und würden für „richtigen Frieden“ wohl auf die Mehrheit der besetzen Gebiete verzichten. Aber die Mehrheit sagt in Meinungsumfragen auch: Das ist nicht möglich, weil die Araber keinen Frieden wollen, weil die Palästinenser Terroristen sind. Das Argument der Sicherheitsproblematik entspricht der offiziellen Propaganda.

Man war sich schon viel näher . . .

Primor: Jahrzehntelang hatte man uns erzählt, mit der PLO spricht man nicht – das sind Mörder, Verbrecher. Es wurde der Bevölkerung regelrecht eingeimpft. Und dann wurde 1993 ohne Vorwarnung über die Medien verbreitet, die Rabin-/Peres-Regierung verhandle nun doch mit den Palästinensern. Man sollte davon ausgehen, dass die Menschen in Israel nach ihrer langjährigen „Erziehung“ Sturm gelaufen wäre. Aber nichts ist geschehen. Das bedeutet: Die Israelis gehen mit ihrer Regierung. Ist sie nationalistisch, sind auch sie es. Ist sie kompromissbereit, sind auch sie es.

Hat unter diesen Rahmenbedingungen der Frieden im Nahen Osten eine reelle Chance oder bleibt er nur ein frommer Wunsch?

Primor: Heute ist das nur ein frommer Wunsch. Aber das muss nicht so bleiben.

 
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