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Wandel und Dynamik in Vietnam
50 Jahre Hanns-Seidel-Stiftung       -  Ursula Männle
Foto: Szilard Koszticsak, dpa | Ursula Männle
Das Gespräch führte Eva-Maria Vogel
 |  aktualisiert: 30.10.2017 03:23 Uhr

In einer Zeit, in der die deutsch-vietnamesischen Beziehungen belastet sind durch die Entführung des Asylbewerbers Trinh Xuan Thanh informiert die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung Staatsministerin a. D. Professor Ursula Männle im Gespräch mit dieser Redaktion über ihren Besuch in Vietnam.

Frage: Frau Professor Männle, Sie hatten vor kurzem die Gelegenheit Vietnam zu besuchen. Aus welchem Anlass?

Ursula Männle: Als Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung besuche ich regelmäßig unsere Projektbüros im Ausland. Wir fördern weltweit mehr als 100 Projekte in über 65 Ländern. Der Anlass meines Besuches in Hanoi war die Eröffnung des diesjährigen Asia-Europe Environment Forums. Zudem habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, mich mit vietnamesischen Regierungsvertretern zu treffen. Gerade in einem System wie dem vietnamesischen ist es wichtig, den direkten Kontakt und das vertiefte Gespräch zu suchen, um als ernsthafter Gestalter akzeptiert zu werden.

Ihr Besuch fand aufgrund der Entführung des Geschäftsmannes Trinh Xuan Thanh unter schwierigen Vorzeichen statt. Thanh, der im Juli 2017 mutmaßlich durch den vietnamesischen Geheimdienst in Berlin entführt wurde, hatte auch politisches Asyl beantragt. Wie beurteilen Sie die deutsch-vietnamesischen Beziehungen vor diesem Hintergrund?

Männle: Zunächst muss ich dazu anmerken, dass sich die Beziehungen zwischen Vietnam und Deutschland trotz der unterschiedlichen politischen Systeme in den letzten Jahren positiv entwickelt haben. Zwischen beiden Ländern wurde sogar auf höchster Ebene im Jahr 2011 eine strategische Partnerschaft vereinbart. Die Liste der gemeinsamen wirtschaftlichen, kulturellen und entwicklungspolitischen Projekte ist lang. Umso unverständlicher ist es, dass diese Beziehungen durch diesen eklatanten Rechtsbruch aufs Spiel gesetzt werden. Die Verletzung der deutschen Souveränität und die Missachtung der Menschenrechte sind inakzeptabel. Das hat auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme deutlich klargemacht. Besonders aufgrund unserer eigenen Geschichte stehen Asylbewerber, die meist in ihren Heimatländern politisch verfolgt werden, aus meiner Sicht völlig zu Recht unter besonderem Schutz.

Asyl ist ein im Grundgesetz besonders geschütztes Grundrecht. Ob eine Strafverfolgung in Vietnam zu Recht oder zu Unrecht erfolgt, spielt deshalb bei der Bewertung des Falles keine Rolle. Ich sehe es auch aufgrund der geschichtlichen Verantwortung Deutschlands als meine Aufgabe an, in diesem Fall an demokratische und rechtsstaatliche Grundprinzipien zu appellieren.

Hatten Sie Gelegenheit diesen Vorfall bei Ihrem Besuch anzusprechen?

Männle: Grundsätzlich fand meine Reise nach Vietnam als Vertreterin einer Nicht-Regierungsorganisation statt. Durch unsere langjährige Projektarbeit im Land haben wir aber selbstverständlich auch enge Kontakte zur Regierung. Gerade in einer solchen Situation kommt einer politischen Stiftung eine wichtige Rolle zu, weil wir durch unsere Arbeit die deutsche Außenpolitik begleiten und ergänzen. Deshalb habe ich das Thema auch aktiv angesprochen. In meinen Gesprächen mit Regierungsvertretern gewann ich den Eindruck, dass sie überrascht waren von der strikten Reaktion Deutschlands. Leider, und das zeigt auch dieser Fall deutlich, sind Werte wie Rechtsstaatlichkeit nicht überall selbstverständlich wie in Deutschland. Gleichzeitig wurde mir von vietnamesischer Seite auch versichert, dass sie sehr an einer Normalisierung der bilateralen Beziehungen interessiert ist.

Ich hoffe deshalb, dass ich durch meine Gespräche dazu beitragen konnte, unseren Standpunkt klarzumachen und damit einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der Beziehungen leisten konnte.

Wird die Hanns-Seidel-Stiftung unter diesen Bedingungen ihr Engagement in Vietnam aufrechterhalten?

Männle: Unsere gesellschaftspolitische Bildungsarbeit und unsere internationale Politikberatung bauen auf den Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auf. Unsere Projekte sind langfristig ausgelegt, weil nur so demokratische Strukturen geschaffen werden können. In Vietnam fördern wir beispielsweise seit vielen Jahren den Aufbau eines sozialen Sicherungssystems. Als eine direkte Folge unseres Engagements hat heute jeder vietnamesische Arbeitnehmer Anspruch auf gesetzliche Sozialleistung. Für Entwicklungs- und Transformationsländer bereits eine große Errungenschaft. Wir versuchen damit, den gesellschaftlichen Wandel in Vietnam positiv zu begleiten. Insbesondere werden nun Vorschläge erörtert, bislang benachteiligte Gruppen, wie Frauen im informellen Sektor, Behinderte und Minderheiten in das Rentensystem einzubeziehen. Außerdem fördern wir aktiv den Gesetzgebungsprozess im Bereich der Umwelt und des Klimaschutzes.

Vietnam hat eine mehr als 2000 Kilometer lange Küste und ist daher von der Klimaveränderung extrem betroffen. Eine Einstellung dieses Engagements wäre deshalb auch nicht in unserem Sinne.

Wie war Ihr Eindruck von dem Land, welche Erfahrungen haben Sie mit den Menschen vor Ort gemacht?

Männle: Vietnam ist eine aufstrebende Nation in Asien, die große Wachstumserfolge feiert. Das kann man vielerorts sehen: Die Bevölkerung ist sehr jung. Mehr als sie Hälfte der Bevölkerung ist unter 30 Jahre. Die Auswirkungen des bis in die 1970er Jahre dauernden Vietnamkrieges, der mein persönliches Bild des Landes bisher geprägt hatte, spielen bei ihnen kaum noch eine Rolle, der Blick ist klar nach vorn gerichtet. Ich war überrascht, wie entwickelt und fortschrittlich sich Vietnam heute präsentiert. Wenn man das brodelnde Hanoi ansieht und sich mit Menschen unterhält, spürt man förmlich den Wandel und die Dynamik. Einher geht diese Entwicklung mit großen Erfolgen bei der Armutsminderung und steigendem Wohlstand, jedoch auch mit wachsenden sozialen und ökologischen Problemen. Aktuelle Herausforderungen sind vor allem die Kluft zwischen Arm und Reich sowie die Folgen des Klimawandels. Sie dämpfen die Erwartungen an eine dauerhaft konfliktfreie gesellschaftliche Entwicklung.

 
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